Zwischen Klimaschutz und Konkurrenzfähigkeit
08.08.2023 | Der europäische CO2-Preis ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Was gut ist für das Klima, stresst die Wirtschaft. Denn Europas Unternehmen haben höhere Kosten als die Konkurrenz. Ein Klimazoll soll nun wieder Chancengleichheit herstellen. Wie sieht das Konzept aus? Welche Branchen und Länder sind betroffen?
Das Wichtigste für Sie in Kürze
- CO2-Preise können helfen, Emissionen zu senken. Doch die Wettbewerbsfähigkeit der Zahler leidet
- Die Lösung: Eine Abgabe auf klimaschädliche Importe, die wieder Chancengleichzeit herstellen soll
- Zwar ist der Weg zum „Klimazoll“ noch lang, doch ein Blick auf Sektoren und Länder lohnt schon jetzt
Der weite Weg zum „Klimazoll“
100 Euro: So viel mussten EU-Unternehmen aus bestimmten Sektoren in der Spitze für die Emission jeder Tonne CO2 zahlen, die über ihre freie Zuteilung hinausging. Und auch wenn der Kurs im Zuge der jüngsten Konjunkturabschwächung heute wieder etwas niedriger steht, ist in den vergangenen Jahren doch ein nachhaltiger Anstieg zu verzeichnen – eigentlich eine gute Nachricht für den Klimaschutz. Denn je höher der Preis, desto eher sind Unternehmen bereit, in klimafreundlichere Technologien zu investieren. Langfristig sinken dadurch die Emissionen ebenso wie die Kosten. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis passiert oft zweierlei: Zum einen verlagern hiesige Unternehmen ihre Produktion häufiger in Regionen, in denen CO2 keinen oder nur einen geringen Preis hat – und importieren dann die Waren in die EU. Zum anderen setzen Abnehmer von Vorprodukten und Investitionsgütern, aber auch Verbraucher direkt auf die Produkte ausländischer Konkurrenten, weil diese wegen der geringeren Emissionskosten möglicherweise günstiger sind. Das ist schlecht fürs Klima und für den Wirtschaftsstandort Europa.
Um dieser Vermeidungsstrategie einen Riegel vorzuschieben und gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Unternehmen zu erhöhen, hat die EU den Carbon Border Adjustment Mechanism entwickelt – kurz: CBAM. Ausgleichzahlungen sollen importierte Produkte mit schlechterer Klimabilanz im Hinblick auf das ausgestoßene CO2 genauso teuer machen, als wenn sie zu Hause gefertigt worden wären. Und auch wenn die ersten Zahlungen wohl erst in drei Jahren fällig werden, lohnt bereits jetzt ein Blick auf das Instrument. Denn klar ist: Für Unternehmen, ganze Sektoren und Länder kann der CBAM erhebliche Auswirkungen auf geschäftliche und fiskalpolitische Entscheidungen haben.
CO2-Preis als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel
Über allem steht das Ziel der EU, bis 2050 netto keine Treibhausgase (und hier insbesondere CO2) mehr zu emittieren. Bereits 2030 soll die Reduktion 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 betragen – aktuell steht man bei einem Minus von rund 30 Prozent. Ein zentrales Instrument auf dem Weg zu den ambitionierten Zielen: CO2 einen Preis geben. Denn können Treibhausgase – wie in der Vergangenheit – kostenfrei in die Luft geblasen werden, fehlt für den Emittenten der wirtschaftliche Anreiz, etwas zu ändern. Die gesellschaftlichen Kosten – die Auswirkungen des Klimawandels – sind aber dennoch hoch. Eben wegen dieser marktwirtschaftlichen Anreizwirkung ist der Handel mit Emissionsrechten, zumindest theoretisch, auch deutlich effizienter als etwa Steuern oder Subventionen.
45 Prozent
der Emissionen in der EU haben aktuell einen Preis
Bereits seit 2005 werden in der EU Emissionsrechte gehandelt (EU Emissions Trading System, EU ETS). Die EU gibt eine jährlich sinkende Anzahl an Emissionszertifikaten aus. Diese werden teilweise kostenlos an die Industrie abgegeben und teilweise versteigert. Wer zusätzliche Zertifikate benötigt, kann diese über den freien Markt erwerben. Momentan umfasst das EU ETS die folgenden Sektoren, die für knapp 45 Prozent der Emissionen in der EU stehen:
- Stromerzeuger ab 20 Megawatt
- Eisen und Stahlverhüttung
- Kokereien
- Raffinerien und Cracker
- Zement- und Kalkherstellung
- Glas, Keramik und Ziegel
- Papier und Zelluloseherstellung
- Chemische Industrie
- Nichteisenmetalle
- Sonstige Verbrennung und Gips- und Mineralfaserherstellung
Mit dem CBAM gegen Carbon Leakage
In einer idealen Welt sorgen die Unternehmen aus diesen Sektoren also durch Investitionen und Innovationen dafür, dass ihre Produktion zukünftig weniger CO2-intensiv ist. Die Unternehmen müssen dann weniger für Emissionsrechte ausgeben, die Gesellschaft profitiert von gesunkenen Emissionen und einer Verlangsamung des Klimawandels. Alle gewinnen.
Doch wird Produktion verlagert, oder kommen direkt Anbieter von außerhalb der EU zum Zuge, ist der globalen CO2-Bilanz nicht geholfen. Sie könnte sich sogar verschlechtern, wenn die Produktion vermehrt in Ländern stattfindet, die einen höheren fossilen Energieanteil und niedrigere Umweltstandards haben – das sogenannte Carbon Leakage. Langfristig verlieren dadurch alle.
Hier setzt der CBAM an. Produkte aus Sektoren, in denen das Risiko von Carbon Leakage besonders groß ist und die unter das EU ETS fallen, werden beim Import mit einer CO2-Ausgleichssteuer belegt. Dieser „Klimazoll“ sollte in seiner Höhe in etwa dem entsprechen, was inländische Unternehmen für ihre CO2-Emissionen zahlen. So würde wieder Chancengleichheit hergestellt.

Das im Mai in Kraft getretene Maßnahmenpaket ist allerdings hoch komplex: Zum einen ist es bürokratisch extrem aufwändig, schließlich müssen Emissionen eindeutig bestimmten Produkten zugeordnet werden. Zum anderen wird es nur für Importeure eingeführt, Ausgleichsmaßnahmen für Exportgüter bleiben zunächst außen vor. Auch aufgrund der Komplexität beinhaltet die im Oktober beginnende erste Phase nur Berichtspflichten, um eine notwendige Datengrundlage zu schaffen. Frühestens 2026 sollen erste Abgaben erhoben werden.
Zunächst wird der CBAM auch nur für die sechs CO2-intensivsten Sektoren eingeführt:
- Stromerzeuger ab 20 Megawatt
- Eisen und Stahlverhüttung
- Zement- und Kalkherstellung
- Düngemittel (im ETS unter Chemie)
- Aluminium (im ETS unter Nichteisenmetalle)
- Wasserstoff (im ETS unter Stromerzeugung)
Die Importeure aus diesen sechs Sektoren müssen nun also zunächst weitreichende Berichtspflichten erfüllen. Darüber hinausgehende Kosten entstehen ihnen aber vorerst nicht. Ebenso wenig werden jene Unternehmen, die weiterhin in der EU produzieren und damit Abgaben über das EU ETS leisten, wirkungsvoll vor günstiger, ausländischer Konkurrenz geschützt.
Türkei und Bosnien-Herzegowina am stärksten betroffen
Neben der Betrachtung auf Ebene der Unternehmen ist auch die Analyse ganzer Länder wichtig: Mit Blick auf den Gesamtwert der Exporte in die EU ist die Türkei am stärksten betroffen. EU-Importe im Wert von rund 10 Milliarden US-Dollar (2021) fallen unter den CBAM. Es folgen China, Indien, das Vereinigte Königreich und Südkorea. Da das Vereinigte Königreich allerdings einen eigenen Emissionshandel betreibt, dürften diese Importe am Ende vom CBAM ausgenommen werden.
Generell erfährt das Konzept des Emissionshandels – wenn vielleicht auch zähneknirschend – zunehmend Zuspruch. So haben zuletzt etwa in der Türkei, Brasilien, Vietnam und anderen Ländern Diskussionen über einen eigenen Handel mit CO2-Zertifikaten begonnen. In Bosnien-Herzegowina und Serbien laufen hingegen Gespräche über einen Anschluss an das EU ETS. Das ist insofern nachvollziehbar, da beide Länder (auch aufgrund ihrer geografischen Nähe) noch einmal deutlich abhängiger von EU-Exporten entsprechender Produkte sind: So fallen etwa 11 Prozent der Gesamtexporte von Bosnien-Herzegowina unter den CBAM.
Starke Abhängigkeiten erhöhen Handlungsdruck
Anteil der Gesamtexporte eines Landes, die unter den Carbon Border Adjmustment Mechanism fallen

China und Südkorea besitzen zwar ebenfalls ein Handelssystem für CO2, die Preise dort sind allerdings so niedrig (im Jahr 2021 nur rund 20 Prozent des EU-Preises), dass die EU sie kaum als Äquivalent betrachten wird. Widerstand gegen den europäischen CBAM kommt deshalb eben hauptsächlich aus China, Südkorea, Japan, Indien und Brasilien sowie einigen weiteren Schwellenländern. Die erstgenannten Staaten zweifeln die grundsätzliche Vereinbarkeit des CBAM mit Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) an. Die Kritik der kleineren Schwellenländer richtet sich vor allem gegen die Verwendung der durch den CBAM eingenommenen Finanzmittel. Laut den betroffenen Staaten sollten diese in Projekte im Export-Herkunftsland fließen, um dort CO2-Emissionen zu reduzieren, anstatt, wie aktuell geplant, in Klima-Projekte oder gar den allgemeinen Haushalt der EU.
Die USA gehen hingegen einen anderen Weg. Ein nationaler CO2-Preis für heimische Produzenten existiert nicht, somit ist ein US-CBAM aus Sicht der Vereinigten Staaten unnötig. Doch auch die EU wird nicht in erster Linie in Richtung US-Unternehmen zielen: Sie exportiert über den Handel mit (Vor-) Produkten mehr CO2 in die USA als umgekehrt. Als mögliche Alternative bemühen sich USA und EU aktuell um eine Art Freihandelszone für grünen Stahl und Aluminium. Diese könnte als Blaupause für andere Sektoren dienen und damit Ausgleichszahlungen mittels eines „Klimazolls“ obsolet machen.
Fazit
Die Probleme, die der CBAM adressiert, sind drängend – und zwar auf zwei Arten. Zum einen ist unstrittig, dass die Treibhausgas- und insbesondere CO2-Emissionen gesenkt werden müssen. Dazu soll der CBAM durch die Vermeidung von Carbon Leakage beitragen sowie dadurch, dass er andere Länder dazu animiert, CO2 einen (höheren) Preis zu geben. Zum anderen soll die Konkurrenzfähigkeit europäischer Unternehmen im globalen Wettbewerb wieder gestärkt werden. Die EU versucht damit, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit auszubalancieren.
Mit Blick auf ersteres stehen die Zeichen nicht schlecht. Grundsätzlich ist die Bepreisung von CO2 ein effizientes weil marktbasiertes Werkzeug, um weltweit Emissionen zu senken. Das EU ETS und der CBAM sind offen konstruiert. Andere Länder können und sollen sich anschließen und damit einen „Klimazoll“ verhindern. Und der „Denkanstoß“ zeigt Wirkung: So prüft etwa Kanada, seine Unternehmen ebenfalls über einen eigenen CBAM zu schützen.
Um einen größeren Effekt zu haben, müsste der EU CBAM aber noch ambitionierter umgesetzt werden. Zwar zeigt die Veröffentlichung der Methodologie im Juli, dass die EU trotz internationaler Diskussionen an ihren Regeln festgehalten hat. Aber lange Übergangsfristen und die begrenzte Anzahl der abgedeckten Sektoren und Produkte beschränkt die Wirksamkeit.
Auch beim Punkt Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit hakt es: In Zeiten eines sich verschärfenden Großmachtwettbewerbs und einer als strategische Waffe eingesetzten Industriepolitik, wirken die auf internationale Kooperation ausgelegten Instrumente wie Lösungen aus einer anderen Welt. Während die EU die Verursacher von Emissionen bestraft und damit im Kampf gegen den Klimawandel initial deren Konkurrenzfähigkeit schmälert, verfolgen etwa die USA ein anderes Konzept. Mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) wird die Vermeidung von Emissionen (indirekt) subventioniert, etwa indem (grüne) Zukunftstechnologien vermehrt in die Vereinigten Staaten gelockt werden. Und solange die zwei größten CO2-Emittenten USA und China eine einheitliche, globale CO2-Bepreisung strikt ablehnen und der CBAM noch nicht aktiv ist, bleibt der Wettbewerbsnachteil für EU-Unternehmen auf nicht-europäischen Märkten bestehen.
Neben der weiteren Ausgestaltung des CBAM dürfte deshalb auch das EU ETS selbst sowie die europäische Industriepolitik weiter Gegenstand von Diskussionen bleiben. Das Austarieren von Klimaschutz und wirtschaftlichen Zielen bleibt damit ein Drahtseilakt.
Ein Beitrag von Volkmar Baur und Janis Blaum.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 03. August 2023, soweit nicht anders angegeben.
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