Schuldenanstieg für Rentenmärkte zu stemmen?
Europa nimmt neue Mittel am Kapitalmarkt vor allem für die Konsumunterstützung auf, die USA setzen sie für Infrastrukturprojekte ein. Rückläufige Energiepreise bieten in Europa aber wieder die Aussicht auf weniger Finanzierungsvolumen. Was bedeutet der derzeit volle Emissionskalender für Renteninvestoren?
Jetzt, wo die Zinsen steigen und die großen Notenbanken Liquidität aus dem Markt nehmen, treten viele Staaten zur Finanzierung großer Fiskalprogramme an den Markt. Im Euroraum lassen Planungen für 2023 einen Rekord an Netto-Neuemissionen von 450 bis 550 Milliarden Euro erwarten. Die USA wiederum haben auch im laufenden Jahr voraussichtlich ein hohes Budgetdefizit und werden mehr Geld ausgeben als einnehmen – der Schuldenstand wird damit wohl weiter wachsen. Zudem läuft der Bilanzabbau der US-Notenbank Federal Reserve („Quantitative Tightening“, QT) mit derzeit 60 Mrd. US-Dollar pro Monat. Langfristig ist zudem davon auszugehen, dass aus geopolitischen Gründen Ländern wie China oder Saudi-Arabien weniger US-Treasuries nachfragen könnten.
Für Anleger wirft dies Fragen auf vor dem Hintergrund, dass die Experten von Union Investment mittel- und längerfristig ein strukturell höheres Zins- und Inflationsniveau erwarten: Was bedeutet der volle Emissionskalender für die Märkte? Bergen steigende Finanzierungsvolumen und Schulden bei strafferer Geldpolitik neue Risiken für die Finanzstabilität?
1. Voller Emissionskalender nicht zum Nennwert nehmen
Ein Großteil der für 2023 eingeplanten Mittelaufnahme europäischer Staaten dient der Finanzierung konsumstützender Entlastungsmaßnahmen. Daher ist nicht zwingend, dass die hohen Emissionsvolumina voll umgesetzt werden. Denn je milder die Temperaturen, umso geringer fällt der Energiebedarf der privaten Haushalte aus und umso kleiner dürften letztlich die staatlichen Hilfen ausfallen. Das sollte perspektivisch die Fiskalsituation der Staaten entlasten und somit ihr Neuemissionsangebot im weiteren Jahresverlauf begrenzen.
Zudem zeigte sich in den ersten Wochen des Jahres, dass die Neuemissionswelle gut vom Markt aufgenommen wird. Das lässt ein günstigeres Rentenjahr erwarten. Mögliche neue, externe Schocks sind aber nicht Teil dieses Szenarios. Und: Da die fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen in der EU eher auf den Konsum zielen, haben sie das Potenzial, längerfristig den Inflationsdruck zu erhöhen – verbunden mit entsprechenden Zinsrisiken.
Wie sieht es aber mit der Schuldentragfähigkeit aus? Anders als in den USA und Japan verfügt der Euroraum nicht über eine einheitliche Fiskalpolitik. Die Situation ist also nicht vergleichbar. In einem schwierigen Konjunkturumfeld kann dieser „Mangel“ zeitweise Marktbelastungen bonitätsschwächerer Emittenten vergrößern. Im globalen Vergleich stehen die Euroraum-Staaten in Summe aber nicht allzu schlecht da, zumal sich mit sinkenden Energiepreisen die Leistungsbilanz verbessert (vgl. Grafik).
Der größte (potenzielle) Emittent dürfte nach Italien die Bundesrepublik sein. Sie will 2023 mit über einer halben Billion Euro am Markt deutlich mehr Mittel als in den Vorjahren aufnehmen. Das Finanzierungsvolumen könnte aber deutlich geringer ausfallen, wenn sich die Situation bei den Energiekosten weiter beruhigt und sich die Wachstumsperspektiven aufhellen. Union Investment erwartet, dass die Renditen für Bundesanleihen angesichts weiterer EZB-Zinsschritte (bis Mai) noch etwas steigen werden. Zugleich dürften aber durch die größere Verfügbarkeit der erstklassigen, hochliquiden Staatsanleihen die erhöhten Swap-Spreads sinken, was sich positiv auf die Segmente der Unternehmensanleihen, Covered-Bonds und staatsgarantierten, supranationalen und staatsnahen Anleihen (SSAs) auswirken sollte.
2. Bilanzabbau für Euro-Peripherie im Auge behalten
Wie sieht es für die höher verschuldete Euro-Peripherie aus? Nach der „hawkishen“ Ankündigung der EZB nach der Dezember-Zinssitzung haben sich die Risikoaufschläge (Spreads) für Staaten mit hoher Verschuldung wie Italien ausgeweitet. Sie engten sich zuletzt aber wieder ein. Wichtig ist hier der geplante Bilanzabbau der EZB. Ab März will die Notenbank fällig werdende Anleihen im Anleihekaufprogramm (APP) von zunächst 15 Milliarden Euro je Monat bis Juni nicht mehr voll refinanzieren. Auf der Februar-Sitzung sind weitere Einzelheiten zu erwarten. Aufgrund der Arithmetik des bisherigen Ankaufsschlüssels ist davon auszugehen, dass die Staatsanleihemärkte von Italien, Deutschland und Frankreich den größten Teil der passiven Bilanzreduktion schultern dürften.
Wenn die EZB ihre quantitative Straffung unverändert bis Ende 2023 weiterführt, würde dies rund 145 Mrd. Euro Liquiditätsentzug und damit potenziell höherer Volatilität am Markt bedeuten. Dies dürfte Euro-Peripherieanleihen im Jahresverlauf belasten. Im Fokus steht aber Italien. Die neue Regierung in Rom ist bisher mit verhältnismäßig moderaten Aussagen zur Schuldenpolitik des Landes aufgefallen.
Die Experten von Union Investment erwarten keine Krise, aber mögliche neue Spannungen zwischen Rom und Brüssel, die italienische Staatspapiere belasten könnten. Bis Ende April 2023 muss Italiens Regierung der EU einen Mehrjahres-Finanzplan vorlegen. Wenn die Reformpolitik beibehalten wird, bleiben Zuwendungen und günstige Darlehen der EU aus dem NGEU-Fonds sowie eine (potenzielle) EZB-Unterstützung erhalten.
Gegen eine Schuldenkrise in Europa spricht auch, dass sich die Europäische Kommission in der Finanzierung ihrer Unterstützungsprogramme (unter anderem Next Generation EU) langsam von einem supranationalen zu einem Super-Staatsanleihe-Emittenten wandelt, wie EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn sagte. Die EU will im ersten Halbjahr Anleihen über rund 80 Milliarden Euro auflegen. Diese EU-Bonds und die aufgenommenen Mittel fließen zunächst in einen gemeinsamen Topf, bevor sie auf die verschiedenen Unterstützungsprogramme verteilt werden. Das hat gerade im Depot-A-Geschäft Relevanz: Die EZB wird ab 29. Juni 2023 EU-Anleihen den gleichen Liquiditätsstatus wie Staatsanleihen zuweisen.
3. USA investiert inflationsschonender
Anders als in der EU dienen die von den USA eingeworbenen Mittel am Kapitalmarkt weniger der Konsumunterstützung, sondern stärker der Finanzierung etwa von Infrastrukturprojekten und einer strategischen Neuausrichtung von Lieferketten. Nach Ansicht von Union Investment wirken diese Investitionen mittel- bis langfristig produktivitätssteigernd und somit inflationsbremsend. Die großen Fiskalpakete führen zwar aktuell zu hohen Haushaltsdefiziten. Auch sind zähe Verhandlungen zur Anhebung der Schuldenobergrenze zwischen Republikanern und Demokraten zu erwarten. Doch geht Union Investment von einer Einigung im dritten Quartal aus, womit ein (technischer) Zahlungsausfall verhindert werden sollte.
Insgesamt scheint durch die rege Emissionstätigkeit eine Versteilerung der US-Zinskurve wahrscheinlicher. Hierzu dürfte auch der anhaltende Bilanzabbau der US-Notenbank Fed durch eine perspektivisch höhere Laufzeitprämie beitragen. Gegenwind kommt für Euro-Investoren auch durch einen schwächeren US-Dollar aufgrund der sinkenden Zinsdifferenz zwischen den USA und dem Euroraum.
Kurz gefasst: Taktik angezeigt
Die vorerst anhaltend hohe Emissionswelle in Kombination mit dem unsicheren, wenn auch zuletzt vielerorts aufgehellten Inflations- und Wachstumsbild, dürfte zu zeitweiser Volatilität führen, aber keine Hürde für eine Stabilisierung der Märkte werden. Eine Schuldenkrise angesichts steigender Zinsen ist in entwickelten Staaten nicht zu erwarten. Renteninvestoren in Europa können dabei Anleihen bonitätsstärkerer Staaten bevorzugen. Mittel- bis längerfristig wird entscheidend sein, ob die Inflation sich aufgrund fallender Energiepreise weiter abschwächt und vor allem, ob der Anstieg der Kerninflationsrate sich beruhigt. Die höheren Kupon-Niveaus bieten immerhin Einkommen und etwas Puffer gegen mögliche neue, zinsbedingte Kursverluste.
Insgesamt bleibt die Zinsdifferenz zugunsten der Eurozone wirksam, sodass ein weiterer Anstieg des Euro möglich erscheint. In den USA dürfte der Renditeanstieg begrenzter bleiben. Eine Kurvenversteilerung (am langen Ende) erscheint angesichts der hohen Finanzierungstätigkeit aber wahrscheinlich. Mittel- bis längerfristig sprechen dann die besseren Produktivitäts- und Wachstumserwartungen im Vergleich zu Europa für eine Stabilisierung der US-Renditen. Für Japan sind zunächst steigende Renditen zu erwarten, hier spielt Renteninvestoren vor allem eine mögliche Yen-Aufwertung in die Karten.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
17. Januar 2023, soweit nicht anders angegeben.