PFAS: Wie chemische Substanzen zum Kapitalmarktrisiko werden
Outdoorjacke, beschichtete Pfanne, Löschschaum: Fast überall finden sich Bestandteile einer chemischen Produktgruppe namens PFAS. Die breite Verwendung der Substanzen belasten Mensch und Umwelt. PFAS könnte zu einem Kapitalmarktrisiko werden. Warum, erklärt ESG-Analyst Jonas Weisbach.
Herr Weisbach, was sind PFAS?
PFAS sind weit verbreitet. PFAS steht für „per- and polyfluoroalkyl substances“ und ist der Oberbegriff für eine Gruppe von rund 4.700 industriell erzeugten, chemischen Substanzen. Produziert werden PFAS bereits seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Sie kommen in einer Vielzahl von Gütern des täglichen Gebrauchs als Inputstoffe zum Einsatz.
Haben Sie ein Beispiel?
Besonders ihre schmutz-, fett- und wasserabweisenden Eigenschaften mach(t)en sie für eine Vielzahl von Anwendungen interessant, zum Beispiel in der Textil-, Outdoor- und Lederindustrie, im Bereich der Einwegverpackungen wie Kaffeebecher, Pizza- und Hamburgerverpackungen, in beschichteten Küchenutensilien wie Pfannen und Töpfen oder zur grundsätzlichen Behandlung von Oberflächen wie in Auto- und Skiwachs.

Jonas Weisbach ist seit September 2018 in der Abteilung ESG im Portfoliomanagement von Union Investment tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der ESG-Analyse des Chemiesektors, im themen- und unternehmensbezogenen Research in Hinblick auf die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) sowie im Bereich ESG Regulatorik.
Warum sind PFAS so gefährlich?
Neben ihren gewünschten Anwendungsmöglichkeiten besitzen auch PFAS Eigenschaften und Folgewirkungen, die sie für Mensch und Natur gefährlich machen: Sie sind sehr langlebig und werden nicht abgebaut, was ihnen den Spitznamen „forever chemicals“ einbrachte. Sie sind sehr mobil und verbreiten sich vor allem über Luft und Wasser. Bei der Aufnahme in den Organismus reichern sie sich an, werden also nicht abgebaut oder ausgeschieden. Schwangerschaftskomplikationen, Krebserkrankungen und Beeinträchtigungen des Immunsystems sind nur einige der möglichen gesundheitlichen Schäden, die durch die Anreicherung von PFAS möglich sind.
Wenn man diese Folgen für Mensch und Natur bereits kennt: Gibt es Bemühungen, den Einsatz von PFAS einzuschränken?
In der Europäische Chemikalienverordnung REACH werden ausgewählte PFAS-Varianten als besonders besorgniserregend für Mensch und Natur klassifiziert. Durch eine REACH-Verordnung kann es grundsätzlich zu strengeren Regulierungen bei der Herstellung und Verwendung und sogar zu Verboten bestimmter Chemikalien kommen. Ganz aktuell wurde zum Beispiel die Produktion von PFOA, einer besonders schädlichen Unterart von PFAS, in der EU ab Juli 2020 untersagt. Angesichts der besonderen Schädlichkeit streben aber mehrere Staaten und Behörden, darunter das Umweltbundesamt, ein Verbot aller PFAS-Verbindungen an.
Übrigens existieren bereits PFAS-Alternativen, beispielsweise im Outdoor-Textilbereich und bei der Beschichtung von Pfannen und Töpfen. Und auch bei Einweggeschirr und beschichteten Verpackungen wird über Alternativen nachgedacht.
Welche Konsequenzen haben die Beschränkungen auf die Hersteller zahlreicher Produkte?
Die immer weitreichenderen Beschränkungen bei der Herstellung und Verwendung von PFAS haben negative operative Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften. Unternehmen wie zum Beispiel 3M aus den USA, die zu den größten PFAS-Produzenten weltweit gehören, droht bei einem möglichen, grundsätzlichen Verbot aller PFAS-Varianten zunächst einmal der Verlust eines Geschäftsbereichs. Weit schwerer wiegen allerdings Klagerisiken, nicht nur für die Erzeuger von PFAS selbst, sondern auch für Unternehmen, die PFAS als Zwischenprodukt weiterverarbeitet haben. In den USA etwa wurden bereits Klagen wegen gesundheitlicher Beeinträchtigung oder der Kostenübernahme für Aufräumarbeiten wie der Beseitigung von verseuchtem Boden oder der Aufbereitung von verunreinigtem Grundwasser eingereicht.
Sind auch in Deutschland Gebiete durch PFAS gefährdet oder verunreinigt?
Der Einsatz von Löschschäumen auf Flughäfen wie zum Beispiel in Düsseldorf oder dem Bundeswehrflughafen im bayerischen Manching trug zur Belastung von Böden und Grundwasser bei. Aber auch das illegale Einbringen von verunreinigten Schlämmen auf landwirtschaftlichen Böden hatte weitreichende Folgen. Allein in Rastatt führte die vor einigen Jahren festgestellte Verunreinigung des Trinkwassers durch PFAS zu immensen Wiederaufbereitungskosten die – nach Abschluss aller notwendigen Arbeiten – zwischen ein bis drei Milliarden Euro betragen könnten. Neben den reinen Kosten, die durch Umweltschädigungen und Strafzahlungen entstehen können, besteht für betroffene Unternehmen auch ein hohes Reputationsrisiko.
Was bedeutet das nun für den Kapitalmarkt?
Die finanziellen Belastungen, die durch PFAS-Klagen und Strafzahlungen drohen, haben auch für den Kapitalmarkt wichtige Implikationen. Das betrifft vor allem Unternehmen wie 3M und DuPont aufgrund ihrer langen Historie bei der Produktion und Verwendung von PFAS, aber auch einige europäische Unternehmen wie zum Beispiel Solvay, Arkema und BASF sind potenziellen Klagerisiken ausgesetzt. Aufgrund der breiten Anwendung von PFAS-Verbindungen könnten neben der Chemiebranche künftig noch weitere Branchen und Unternehmen von rechtlichen Streitigkeiten betroffen sein. Aus Investorensicht sollte man diese potenziellen Risiken bei einer Investmententscheidung mit berücksichtigen.
Wie geht Union Investment dabei vor?
Für eine umfängliche Risikobewertung ist das Zusammenspiel aus nachhaltiger Unternehmensanalyse, einem kritischen Engagement-Prozess mit ausgewählten Unternehmen und einem aktiven Portfoliomanagementansatz entscheidend. Nur so können Gefahren frühzeitig erkannt und sinnvolle, langfristige Investitionsentscheidungen auch in Branchen getroffen werden, die aufgrund ihres Produktportfolios ein grundsätzlich höheres Klage- und Reputationsrisiko aufweisen.