Notenbanken im Dilemma

17.04.2023 | Wie kann die Inflation weiter bekämpft und zeitgleich die Finanzmarktstabilität gewahrt werden? Vor dieser Fragestellung steht aktuell vor allem die Federal Reserve. Denn die Schieflage einiger US-Banken ist mitunter ein Ergebnis ihrer Zinspolitik. Es gilt den Spagat erfolgreich zu meistern, ohne weitere Risiken einzugehen.

Das Wichtigste für Sie in Kürze

  • Turbulenzen im Bankensektor: Schieflagen der Silicon Valley Bank und Credit Suisse bleiben Sonderfälle
  • Notenbanken lassen sich nicht von ihrem Zinserhöhungspfad abbringen
  • Kerninflation hält sich auf beiden Seiten des Atlantiks hartnäckig
  • Konjunkturelle Erholung durch Bankenstress gebremst

Die Schieflage einiger US-Regionalbanken, insbesondere der Silicon Valley Bank (SVB), sorgte im März für Turbulenzen an den Kapitalmärkten. Waren Bankaktien und -anleihen in den vergangenen Monaten als Profiteure vom Zinserhöhungszyklus noch gefragt, kam es zu einem massiven Abverkauf. Europäische Bankaktien verloren innerhalb einer Woche 14 Prozent an Wert und der US-Banken-Index (KBW-Banken-Index) fiel auf den tiefsten Stand seit 2020. Bei einigen Marktteilnehmern machten sich Erinnerungen an die Finanzkrise breit. Doch die Ausgangslage ist im Vergleich zum Jahr 2008 eine andere.

  • Silicon Valley Bank und Credit Suisse lassen Finanzwerte abstürzen

    US-Banken-Index auf tiefstem Stand seit Ende 2020

    US-Banken-Index auf tiefstem Stand seit Ende 2020
    Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 31. März 2023.
  • Silicon Valley Bank und Credit Suisse lassen Finanzwerte abstürzen

    Europäische Banken verlieren 14 % in einer Woche

    Europäische Banken verlieren 14 % in einer Woche
    Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 31. März 2023.

SVB und Credit Suisse sind Sonderfälle

Damals war der entscheidende Faktor die Qualität der Anlagen in den Bilanzen der Banken. Aktuell steht eher die Frage im Fokus, ob einzelne Institute genug Liquidität besitzen, um den Kunden ihr Geld zur Verfügung stellen zu können. Durch das gestiegene Zinsniveau geriet vor allem die Passivseite der Bankenbilanzen unter Druck. Die gehaltenen Anleihen verloren durch den allgemeinen Renditeanstieg in den vergangenen Monaten an Wert. Wenn nun viele Kunden ihre Einlagen benötigen, müssen die Banken bei der Beschaffung von Liquidität falls nötig auch die entsprechenden Verluste realisieren. Das mag eine Herausforderung für einzelne Häuser sein, für das gesamte Bankensystem jedoch nicht. Denn bei den betroffenen Geldhäusern SVB und Credit Suisse handelte es sich um Institute, die sich schon vorher mit hauseigenen Herausforderungen konfrontiert sahen. So ist die SVB enorme Zinsänderungsrisiken in ihrem Portfolio aus Staatsanleihen eingegangen, ohne diese abzusichern – ein Managementfehler. Die unrealisierten Verluste beliefen sich auf etwa 80 Prozent des Eigenkapitals. Bei europäischen Banken liegen diese hingegen aktuell überwiegend bei weniger als 10 Prozent. Das Bankensystem in Europa ist also deutlich robuster aufgestellt. Die Experten von Union Investment sehen daher keine Anzeichen einer systemischen Krise und die Finanzmarktstabilität weiterhin gewahrt.

Notenbanken behalten Zinserhöhungskurs bei

Zudem zeigten die beteiligten Regierungen, Regulierungsbehörden und Notenbanken, dass sie schnell, entschlossen und effektiv mit Liquiditätshilfen zur Unterstützung bereitstehen. Doch das Ziel der Inflationsbekämpfung hat für die Zentralbanken auch weiterhin oberste Priorität. Mit der Bankenrettung gingen Gerüchte durch den Markt, dass die Notenbanker aufgrund der grassierenden Unsicherheit ihren Zinserhöhungszyklus unterbrechen würden. Dem erteilten allerdings sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) zügig eine Absage. Sie signalisierten, dass mögliche Sorgen um die Finanzstabilität nicht die Eindämmung der Teuerung als entscheidenden Treiber der Geldpolitik ablösen werden. Der Fokus bleibt also auf der Inflationsbekämpfung.

Und hier ist noch Einiges zu tun: In den USA sind die Verbraucherpreise im März um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Im Februar hatte die Inflationsrate noch sechs Prozent betragen. In Summe ein deutlicher Rückgang. Jedoch hält sich die Kerninflationsrate, welche um die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel bereinigt ist, weiterhin hartnäckig. So stieg diese im März von 5,5 auf 5,6 Prozent. Der Preisauftrieb ist bereits in vielen Bereichen der US-Wirtschaft angekommen (Dienstleistungen und Güter) und der Inflationsdruck hat sich in der Breite verfestigt. Die Situation in Europa ist eine ähnliche: Hier befindet sich die Inflationsrate mit 6,9 Prozent weiter auf einem Rekordniveau. Gegen eine schnelle Rückbildung der Kerninflation in den Vereinigten Staaten spricht die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Entwicklung bei der Zahl der neuen offenen Stellen sowie bei der Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe ging zuletzt zwar in die richtige Richtung. Weiterhin besteht aber das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften.

Inflation: Kernraten weiter erhöht

Kerninflation im Euroraum noch vor dem Höhepunkt

Kerninflation im Euroraum noch vor dem Höhepunkt
Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 14. April 2023.

Zielkonflikt für die Notenbanken

Besonders die Fed befindet sich daher in einem Zielkonflikt. Nach den Turbulenzen bei den Regionalbanken muss sie neben dem Kampf gegen die Inflation auch die Finanzmarktstabilität im Blick behalten. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, sind weitere Zinsschritte notwendig. Allerdings bringt ein steigendes Zinsniveau auch weitere Belastungen für den Bankensektor mit sich. Die Fed dürfte daher künftig noch stärker datenabhängig agieren, um nicht zu stark an der Zinsschraube zu drehen und weitere Risiken einzugehen. Die Volkswirte von Union Investment rechnen mit zwei Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte auf den nächsten zwei Fed-Sitzungen im Mai und möglicherweise auch noch im Juni. Auch die Währungshüter bei der EZB dürften bis in den Sommer noch Zinserhöhungen vornehmen. Der Einlagensatz dürfte sich dann auf 3,75 Prozent belaufen.

Ohne Zweifel wird auch die Straffung der Finanzierungsbedingungen, ausgelöst durch den Stress im Bankensystem, einen dämpfenden Effekt auf Wachstum und Inflation haben. Das tatsächliche Ausmaß dieses Straffungseffekts ist allerdings derzeit noch nicht abschätzbar. Im Ergebnis dürften die Kreditkonditionen allerdings noch restriktiver werden, als durch die straffere Geldpolitik ohnehin bereits zu erwarten ist. Ein dynamischer Aufschwung wird damit zunehmend unwahrscheinlich. In Summe rechnen die Volkswirte von Union Investment daher zwar nicht mit einer Rezession, aber mit einer Belastung der weltweiten Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte.

Lösungen im aktuellen Umfeld

Die Verwerfungen im Bankensektor haben zwischenzeitlich zu einer Flucht in die sicheren Häfen geführt, auch Gold war gesucht. Mittlerweile hat sich die Lage am Kapitalmarkt aber weitgehend beruhigt. Der Trend zu steigenden Renditen in den Kernmärkten nimmt wieder an Fahrt auf. Aufgrund der Inversion der Zinskurven bleiben nach Einschätzung der Experten von Union Investment weiter Anleihen mit einer geringen Zinsbindungsdauer (Duration), vor allem Investment-Grade-Unternehmensanleihen attraktiv. Als Alternative für institutionelle Investoren bieten sich Fonds an, die in CLOs (Collateralized Loan Obligations) investieren. CLOs bieten aus strukturellen Gründen (wie etwa ihrer Komplexität) sowie teilweise einer geringeren Liquidität eine höhere Rendite gegenüber Unternehmensanleihen auf vergleichbarer Ratingstufe. Am Aktienmarkt bleibt noch etwas Vorsicht angesagt; gerade mit Blick auf die Auswahl von Einzeltiteln ist derzeit eine besondere Umsicht gefragt.

 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 17. April 2023, soweit nicht anders angegeben.

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