Bertolt Brecht und die Nachhaltigkeit

Wer Unternehmen ausschließt, die auf ihrem Weg noch nicht so weit sind, ignoriert oft glaubwürdige Klimastrategien, erschwert Wandel und landet in der Sackgasse

,,Umwälzungen finden in Sackgassen statt‘‘, fasst Bertolt Brecht die Lage in seinem ,,Buch der Wendungen‘‘ zusammen. Obwohl bereits vor 55 Jahren erschienen, ist diese Diagnose brandaktuell. Der Klimawandel bedroht nicht nur die Zukunft der Menschheit, sondern findet bereits jetzt statt. Die Zeit zur behutsamen Richtungsänderung ist verstrichen. Das Ende der Sackgasse vor Augen, beobachten wir gewaltige Umwälzungen beim Klimaschutz: Ein Regulierungsvorhaben jagt das nächste, grüne Technologien werden gefördert, fossile Technologien abgelöst. Unterstützt wird das auch durch die Finanzindustrie, die die Geldströme in Richtungen lenkt, in denen sie den Wandel zur CO2-freien Zukunft unterstützen.

Bertolt Brecht (1898–1956) war der einflussreichste deutsche Dramatiker, Lyriker und Librettist des 20. Jahrhunderts. (Fred Stein Archive/Archive Photos/Getty Images)

Umwälzung im Gange

Analog dazu findet auch im nachhaltigen Assetmanagement derzeit eine Umwälzung statt – wir treten in eine neue Phase der Transformation ein: Die Entwicklung des ESG-Investings (Environment, Social, Governance) lässt sich grob in drei Phasen einteilen, die sich historisch aneinanderreihen und die geprägt sind von unterschiedlichen Ansätzen: Ausschlüsse, Best in Class und Transformation. Die erste Phase der nachhaltigen Geldanlage war die Phase der Ausschlüsse, in der Investoren einfach diejenigen Konzerne ausschlossen, die qua Geschäftsfeld oder Geschäftsgebaren in einem nachhaltig gemanagten Fonds nichts zu suchen hatten. Das half auch dabei, Risiken im Vorfeld zu identifizieren und aus dem Portfolio durch Ausschluss zu verbannen.

Mischform bis heute üblich

Die zweite Phase war dadurch gekennzeichnet, dass die Investoren sich auf die besonders guten Konzerne, die sogenannten Klassenbesten, konzentriert haben. Hier wurde neben dem Risikofilter auch der Blick auf die Investmentchancen gelenkt: Wer ist besonders gut aufgestellt, um dem Klimawandel profitabel zu begegnen? Wer schafft es, seine CO2-Emissionen deutlich zu senken? Diese Unternehmen sollten, so die Annahme, an der Börse über die Zyklen hinweg besser abschneiden als die schlechteren Adressen.

Üblich war und ist bis heute eine Mischform aus beidem. Insbesondere im ökologischen Bereich suchen die Analysten nach neuen Geschäftsmodellen und Unternehmen, die beispielsweise vom Klimawandel profitieren – etwa durch die Produktion intelligenter Heizungssysteme, durch energieeffiziente Bauformen oder neue Mobilitätskonzepte. Durch die Kombination beider Ansätze entsteht so ein Portfolio mit minimierten Risiken und gleichzeitig erhöhten Chancen.

Der Zeitenwechsel steht an

Doch für nachhaltige Investoren steht nun der Zeitenwechsel an, hin zu einem weiteren, ergänzenden Ansatz: der Transformation. Der Blick wendet sich nicht mehr nur den besonders guten Unternehmen zu. Denn für Anleger sind derzeit nicht unbedingt die Unternehmen besonders interessant, die heute schon sehr gut aufgestellt sind und ein hochwertiges, nachhaltiges und damit vergleichsweise krisenresistentes Geschäftsmodell haben. Sie sind oft schon so hoch bewertet, dass die Renditechancen begrenzt sind, da die glänzende Zukunftsperspektive schon eingepreist ist. Renditeträchtiger sind diejenigen Unternehmen, die im Wandel begriffen, die bereit für eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit sind, die sich verändern wollen und das auch können und die möglicherweise schon die ersten Schritte unternommen haben.

Die Suche nach derartigen Unternehmen hat eine zusätzliche, normativ wünschenswerte Komponente, die nicht direkt mit dem Anlageerfolg zu tun hat: Um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und die Klimaziele von Paris zu erreichen, ist es schlicht zu wenig, die Bösen auszuschließen und ausschließlich auf Unternehmen zu setzen, die in Sachen Nachhaltigkeit schon zur besten Kategorie gehören. Vielmehr gilt es, Unternehmen, die noch keine Musterschüler sind, aber es ernsthaft und glaubwürdig werden wollen, auf dem Weg in eine bessere, saubere Zukunft zu begleiten.

Als aktiver und nachhaltiger Investor kommt es darauf an, diese Unternehmen frühzeitig zu identifizieren, bevor der breite Markt das Potenzial in der Transformationsstory entdeckt hat. Das funktioniert einerseits über das klassische fundamentale Research, andererseits aber auch über den Dialog mit den Unternehmen im Investorengespräch. Doch wie stellt man in Zeiten, in denen immer mehr Unternehmen auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen, sicher, dass die Transformation mehr ist als eine Investor-Relations-getriebene Marketing-Geschichte?

Unterscheiden und analysieren

Drei Dimensionen gilt es dabei zu unterscheiden und zu analysieren: Die Strategie eines Unternehmens, seine Investitionstätigkeit und seine Corporate Governance. Bei der Strategie geht es um die Marschroute, die das Unternehmen aus der schmutzigen in eine saubere Welt führen soll. Bei der Investitionstätigkeit geht es um die Frage, ob das Unternehmen auch bereit ist, die nötigen Mittel in die Hand zu nehmen, um sein Ziel zu erreichen. Und bei der Corporate Governance geht es darum, ob die Unternehmensführung strukturell und personell bereit für den Weg ist.

Um diese Dimensionen gründlich erfassen zu können, bedarf es des Zusammenspiels mehrerer Faktoren: Zum einen benötigt man eine sehr gute und verlässliche Datengrundlage. Das gilt für die Daten, die im Geschäftsbericht und in den Quartalsberichten zu finden sind: Wie verändern sich die Umsatzbestandteile? Werden rückständige Sparten auch tatsächlich zurückgefahren und fortschrittliche Geschäftsfelder entsprechend gefördert? Es gilt aber auch für die Daten, die den ESG-Faktoren zugeordnet sind: Wie schlägt sich das Unternehmen etwa im Corporate-Governance-Ranking von Union Investment? Inwieweit ist es in der Lage, seine CO2-Emissionen so weit zu verringern, dass das Ziel der Klimaneutralität in absehbarer Zeit greifbar wird? Und wie ernsthaft verfolgt es diesen Pfad auch wirklich?

Der letzte Schritt ist der mühsamste, aber auch der lohnendste. In intensiven und regelmäßigen Gesprächen mit dem jeweiligen Unternehmen muss der Transformationspfad erörtert werden, müssen die Erfolge wie auch die Misserfolge auf dem Weg ehrlich und schonungslos bewertet und Lösungen aufgezeigt werden, wie man sich dem Ziel weiter nähern kann. Der Lohn der Mühe besteht darin, dass man schon zu günstigen Einstiegskursen in Unternehmen investiert war, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht weit genug waren. Der Aktienkurs entwickelt sich dann mit der Beurteilung der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells durch den Kapitalmarkt und steigt in der Phase der Transformation kräftig, sobald sich abzeichnet, dass diese gelingt.

Vergleich nicht immer einfach

Doch um das früher als andere verlässlich einschätzen zu können, braucht man Zugang zu den Unternehmen, man braucht die Möglichkeit, die Zwischenziele nicht nur zu stecken, sondern auch mit denen anderer Unternehmen vergleichbar zu machen. Dieser Vergleich ist nicht immer klar und einfach, denn die Schwierigkeiten und Hindernisse, die Unternehmen in der Transformation zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell bewältigen müssen, sind oft sehr individuell. Auch hierfür gibt uns Bertolt Brecht, dessen Lebensthema bekanntlich die Veränderung der ,,Verhältnisse‘‘ war, im ,,Leben des Galilei‘‘ einen Denkanstoß: ,,Angesichts von Hindernissen mag die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten die krumme sein.‘‘ Das soll nicht heißen, dass Transformation eine planlose, durch Versuch und Irrtum geprägte Kunst fauler Kompromisse wäre, sondern vielmehr, dass die erforderlichen Umwälzungen einiges an Umdenken und Kreativität erfordern.

Mit einfachen Ausschlüssen werden wir dieses Ziel daher verfehlen. Denn wenn Nachhaltigkeit keine Utopie, sondern ein Prozess sein soll, dann wollen wir als aktiver Investor Unternehmen begleiten, die sich glaubwürdig transformieren. Wer Unternehmen, die auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit noch nicht so weit sind, ausschließt, ohne näher hinzuschauen, ignoriert oft genug glaubwürdige Klimastrategien, erschwert den Wandel und landet in der Sackgasse.

 

Henrik Pontzen,
Leiter ESG bei Union Investment

Lesen Sie weitere spannende Artikel zu "Philosophie und Nachhaltigkeit":

Aristoteles und die Nachhaltigkeit Beuys und die Nachhaltigkeit Dürrenmatt und die Nachhaltigkeit