Die Neuerfindung des Fliegens

Die Neuerfindung des Fliegens

Luftfahrt

Die Luftfahrt ist auf der Suche nach Wegen zu „Netto-Null-Emissionen“: Ist in Zeiten einer stärkeren Regulierung und eines gesellschaftlichen Klimaaktivismus ein CO₂-neutrales Wachstum für die Flugbranche möglich?
 

Für Langstreckenflüge ab San Francisco nach Frankfurt und München wollten Lufthansa und ihre Tochter Swiss künftig Öko-Treibstoff nutzen. Dieser wird aus Abfallfetten gewonnen. Der Flughafen Zürich setzte erstmals eine mit einer Mischung aus Öko-Treibstoff und herkömmlichem Kerosin betankte Geschäftsmaschine ein. Sie diente dem Transfer von Teilnehmern zum 50. Weltwirtschaftsforum nach Davos: Diese Pressemeldungen vom Januar 2020 zeigen neue Ansätze zu mehr Klimafreundlichkeit in der Luftfahrt.

Doch die Luftfahrt ist im März 2020 wegen der Coronakrise weltweit praktisch zum Erliegen gekommen. Soweit derzeit absehbar, wird sich die Branche im Vergleich mit früheren Krisen aufgrund des Ausmaßes der negativen Auswirkungen nur deutlich langsamer erholen können. Doch langfristig sind dennoch wieder wachsende Passagier- und Flugzahlen zu erwarten. Die International Air Traffic Association (IATA) ging vor Covid-19 zuletzt von einem jährlichen globalen Umsatzwachstum von 3,7 Prozent bis zum Jahr 2037 aus. Damit galt der Luftverkehr als der am schnellsten wachsende Verursacher von Treibhausgaseffekten. Einer Hochrechnung der Vereinten Nationen zufolge hätte die Fliegerei damit  die Stromerzeugung als den bisher größten CO2-Produzenten überholen können. Auch wenn die Branche konsolidiert aus der Coronakrise hervorgehen und  anschließend langsamer als zuvor prognostiziert wachsen sollte, so gilt auch weiterhin: Wichtige Investitionen und Innovationen sind nötig, damit der Luftverkehr seinen Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele leisten kann. Die Verschiebung oder sogar Aufgabe von innovativen Lösungsansätzen zur CO2-Reduktion in der Luftfahrtbranche muss – auch in der momentan finanziell angespannten Situation – vermieden werden.

Höchste Zeit zu handeln, aber wie?

„Damit die Luftfahrtbranche ihre grundsätzlich positiven Zukunftsaussichten langfristig erhalten kann, muss sie das künftige Verkehrswachstum von dem damit verbundenen Emissionsausstoß entkoppeln“, sagt Anne-Katrin Leonard, ESG-Analystin von Union Investment. Einen ersten Schritt hinsichtlich zunehmender regulatorischer Vorgaben zur Bepreisung von CO2 hat die internationale Luftfahrtbranche gemacht, indem sie sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Netto- CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 zu halbieren – im Vergleich zum Jahr 2005. Problematisch ist allerdings, dass die CO2-Reduktionsziele der Luftfahrt nicht ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel und Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, die die EU und Großbritannien anstreben.

Das Erreichen des „Netto Null Emissionen in 2050“- Vorhabens der Europäischen Union scheint nur mit zusätzlichen Kompensationsmaßnahmen oder regulatorischer Kappung des Wachstums erreichbar zu sein. „Um eine deutliche CO2-Verringerung kommt die Branche nicht umhin, und je mehr sie selbst erreicht, umso weniger wird sie von Kompensationszahlungen und regulatorischen Eingriffen belastet“, prognostiziert Leonard. Dabei ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wichtig. Dazu zählen Effizienzpotenziale im Flugzeugbau mit Verbesserungen von Aerodynamik und Gewichtsreduktion. Ein wichtiger Hebel ist außerdem die systematische Nutzung innovativer Technologien und klimafreundlicher Kraftstoffe. Ohne die Antriebstechnologie zu sehr verändern zu müssen, bieten sich zwei unterschiedliche „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF) an. Aus Kostengründen und wegen noch limitierter Verfügbarkeit ist vorerst eine Kombination mit konventionellem Kerosin wahrscheinlich, das je nach Art der Herstellung in unterschiedlicher Höhe beigemischt werden kann.

Kerosin aus Strom

Ein denkbarer Ersatz von fossilen Kraftstoffen ist zum einen durch einen synthetisch erzeugten Treibstoff möglich, der im „Power-to-Liquid-Verfahren“ (PtL) aus erneuerbarem Strom gewonnen werden kann. Mithilfe von Strom aus erneuerbarer Wind-, Solar- oder Wasserkraft wird aus Wasser in einer Elektrolyse klimafreundlich Wasserstoff gewonnen und in einem zweiten Schritt durch Zugabe von CO2 aus der Luft zu synthetischem Öl und auch Kerosin. Diese Öle gleichen dem Erdöl und lassen sich in der Luftfahrt – aber auch im Lkw- und Schiffsverkehr – problemlos verwenden. Weil das während des Flugs freigesetzte CO2 der Atmosphäre zuvor bei der Produktion des Treibstoffs entzogen wurde, ist der Prozess insgesamt CO2-neutral.

Die Herstellung von Kerosin aus Strom ist bereits erprobt und technisch möglich. Laut Studien der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO wäre ein vollständiger Ersatz von konventionellem Kerosin durch alternativ gewonnene Antriebsstoffe grundsätzlich bis zum Jahr 2050 möglich. Dies würde jedoch den Bau von etwa 170 neuen Produktionsanlagen für PtL jährlich voraussetzen. Nach Einschätzung von Experten ließen sich die PtL-Kraftstoffe in großen Mengen vor allem in den Ländern mit viel Sonne, Wind und Wasserkraft günstig produzieren.

So soll im norwegischen Industriepark Heroya ab 2020 in einer größeren Anlage die industrielle Produktion von klimaneutralem Öl beginnen.

Kerosin aus Abfallfetten

Bereits technisch ausgereift und kommerzialisiert ist der eingangs erwähnte Öko-Treibstoff, das sogenannte „Hydroprocessed esters and fatty acids synthetic paraffinic-Kerosin“ (HEFA-SPK). Es wird aus Altfett, ölhaltigen Energiepflanzen oder Algen hergestellt. Bei seiner Verbrennung wird deutlich weniger CO2 freigesetzt als bei Kerosin. Aus diesem Grund macht eine Beimischung ökologisch und ökonomisch Sinn – gerade bei Langstreckenflügen. Kurz- bis mittel  fristig könnte er sich zum wichtigsten Biokraftstoff in der Luftfahrt entwickeln. Experten schätzen, dass sein Einsatz über den gesamten Lebenszyklus hinweg die Treibhausgasemissionen gegenüber fossilem Kerosin um bis zu 80 Prozent reduzieren könnte. Allerdings hat der Biotreibstoff einen Nachteil: Die für den Luftverkehrsbedarf notwendigen Flächen zum Algenanbau für Biokerosin sind begrenzt. Ein Ausweichen auf Anbauflächen zu Lande ist keine Option, da dadurch der Anbau von Lebensmitteln verdrängt wird. Daher bietet sich das Biokerosin zunächst vor allem als ergänzende Beimischung an.

Außerdem sind beide alternativen Kraftstoffvarianten wie bereits erwähnt im Kostennachteil und noch zwei bis drei Mal so teuer wie herkömmliches Kerosin. Wegen der ökologischen Dringlichkeit und weil es ein großes Absatzpotenzial gibt, könnte es allerdings seitens der Politik – gerade in Europa – zu  einer Unterstützung bei ihrer Kommerzialisierung kommen. Bisher zahlt der Luftverkehr für die Klimaschäden nicht, wird weltweit subventioniert und ist von Steuern befreit. So ist auch Kerosin international steuerfrei. Doch wie lange noch?

Weitere Stellschrauben

Neben der Industrialisierung alternativer Kraftstoffe können Fluggesellschaften mit Verjüngung und  Modernisierung reagieren, um die Flotte klimafreundlicher zu machen. Jede neue Flugzeuggeneration verbraucht im Schnitt 25 Prozent weniger Kerosin und emittiert entsprechend weniger CO2. Neue Triebwerke, effizientere Turbinen, eine optimierte Aerodynamik und ein geringeres Gewicht sind hierfür besonders wichtige technische Stellschrauben. Eher langfristige Lösungen – und speziell für kürzere Flugrouten – bieten technologische Entwicklungen im Bereich (hybrid­)elektrischer Antriebe. Diese Technologien werden nach Einschätzung von Experten allerdings nicht helfen, die Emissionen im Luftverkehr in den kommenden zwei Jahrzehnten wesentlich zu senken.

Prof. Jens Friedrichs

Im Gespräch mit: Professor Jens Friedrichs, Technische Universität Braunschweig Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen

Union Investment fragt nach

Herr Prof. Friedrichs, mit welchen Technologien werden wir im Jahr 2050 fliegen?

Wenn man mal die aktuelle Covid­-19-­Krise einen Moment beiseiteschiebt und den Blick 30 Jahre voraus wirft, werden alle Flugzeuge radikal weniger Luftwiderstand haben und leichter gebaut sein. Auch ihre Antriebssysteme werden sich unterscheiden: Rein elektrisches Fliegen wird nur für sehr kurze Strecken und kleine Flugzeuge machbar sein. Darüber hinaus sind Antriebe auf Basis von Wasserstoff und Brennstoffzellen mit Elektromotoren denkbar. Für große Transportleistungen wird synthetisch hergestelltes Kerosin die Basis sein.

Welche technischen Entwicklungen könnten dabei einen Schub erleben, die möglicherweise auch für Investoren interessant wären?

Wir werden einen Wandel erleben, der sehr viele Systeme betrifft und damit ein großes Feld für mutige Investitionen und neue Technologien ermöglicht. Dazu zählt etwa das gesamte Thermomanagement von Antrieben. Abwärme elektrischer Komponenten loszuwerden ist nämlich in der Reiseflugumgebung alles andere als einfach. Weiterhin werden viel mehr Sensoren an Bord sein, denn Flugzeuge werden sich in sehr viel stärkerem Maße selbst überwachen.

Unter welchen Umständen wäre es aus Ihrer Sicht realistisch, dass alternative Kraftstoffvarianten mit Kerosin wettbewerbsfähig werden?

Hierbei spielen nicht nur technologische Aspekte eine Rolle, sondern auch die klassische Economy of scale ebenso wie regulative  Eingriffe. Es wird darauf ankommen, wie weit eine Technologie Einzug in die gesamte Mobilität hält. Dies ist wichtig für die ökonomische Skalierung. Aus meiner Sicht ist es sehr sinnvoll, dass wir die Wasserstoffroute, also Wasserstoff als Energieträger zur Zwischenspeicherung und zum Antrieb von schweren Fahrzeugen und Flugzeugen verfolgen. Wasserstoff ist ein hervorragender Energiespeicher und eine Zwischenstufe auf dem Weg zum synthetischen Kerosin. Während Letzterer immer relativ teuer sein wird, wird Wasserstoff niedrigere relative Produktionskosten haben und damit der Kraftstoff der Wahl sein, wo Batterien nicht ausreichen und Kero sin nicht erforderlich ist.

 

#Institut für Flugantriebe und Strömungs ‑ maschinen (IFAS)

Das IFAS der TU Braunschweig ist eines der renommiertesten Institute  auf dem Gebiet der Strömungsmaschinen. Es ist Teil des Exzellenzclusters „Sustainable and Energy Efficient Aviation“ (SE²A).

 

Klimaneutralität als Wettbewerbsvorteil

Die weltweit sinkenden CO2-Emissionen aufgrund der Covid-19-Krise bedeuten noch keinen strukturellen Wandel hin zu mehr Klimaschutz. Das Augenmerk sollte den Konjunkturprogrammen und Staatshilfen zur Krisenbewältigung gelten. Sie mit Nachhaltigkeitszielen zu verbinden kann vermeiden, dass die negativen Corona-Folgen nicht zu nachlassenden Klima-Anstrengungen führen. Dies könnte auch für die Luftfahrtbranche gelten, die bis zum Jahr 2040 wohl auch weiterhin besonders stark zur globalen Nachfrage nach Ölprodukten beitragen wird. Die Branche ist derzeit noch weit  entfernt, die Pariser Klimavorgaben zu erreichen. Für Investoren stellen sich in diesem Spannungsfeld folgende Fragen: Welche Unternehmen der Branche reagieren auf die sich ändernden Rahmenbedingungen und die damit verbundenen höheren Kosten am besten? Wem gelingt es, das Branchenwachstum zu nutzen, um sich positiv von der Konkurrenz abzusetzen? Die Luftverkehrsgesellschaften haben die Wahl: Sie können bei einem Business-as-usual-Ansatz bleiben und erst im Nachhinein auf neue Entwicklungen reagieren, oder sie können mit  proaktiven Schritten die Zukunft der Branche mitgestalten. Die Vorreiter können sich in diesem umkämpften Markt einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Als ersten Schritt raten wir Unternehmen, zunächst ihre Klimarisiken in der Berichterstattung adäquat abzubilden und finanzielle Auswirkungen des Klimawandels auf das Geschäftsmodell zu quantifizieren, um die Resilienz der Geschäftsstrategie zu stärken. Diese Fragen diskutieren wir gezielt mit Unternehmen aus dem Transportsektor.

Anne-Katrin Leonard

Anne-Katrin Leonard

ESG-Analystin Research & Investment Strategy Portfoliomanagement von Union Investment

Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen:
10. Juni 2020, soweit nicht anders angegeben.

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