Klagen für das Klima

Klagen für das Klima

Climate Litigation gewinnt an Bedeutung

  • Erste Klimaklagen erfolgreich
  • Risiken für Unternehmen und Investoren nehmen zu – Versäumnisse können bestraft werden

  • Climate Litigation unterstützt Transformationsprozesse

 

Klagen für das Klima – Fluch oder Segen für Investoren?

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (GG, Artikel 1 Absatz 1).

„Die Frage der Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens könnte eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent sein" (Angela Merkel in Davos, Februar 2020).

Könnte in Deutschland die Bundesregierung erfolgreich verklagt werden, weil ihre bisherige Klimapolitik gegen das Grundgesetz verstößt? Auf der einen Seite steht der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Lebens, auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass der Klimawandel diesen Schutz massiv bedroht. Denn es ist ja eine physikalische Realität, dass die Treibhausgasemissionen und damit die globale Erwärmung nahezu ungebremst ansteigen und die Lebensumstände deutlich verschlechtern könnten. Inzwischen wird in immer mehr Gerichtsverfahren dieser mögliche Konflikt adressiert. Das kann einerseits Klarheit für Investoren schaffen, andererseits aber auch ökonomische und juristische Risiken für Unternehmen und Staaten bedeuten. Dieses Papier gibt einen Überblick zu Klimaklagen („Climate Litigation“).

In den Niederlanden entschied in letzter Instanz das oberste Gericht – der Hohe Rat der Niederlande – wenige Tage vor Weihnachten 2019, dass die Regierung ihre Ziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen viel stärker als zuvor anpassen muss. Zusammen mit 900 Bürgern hatte die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Urgenda Foundation die Exekutive – zunächst vor einem Bezirksgericht in Den Haag – verklagt, um die Niederländer vor abwendbaren Folgen des Klimawandels zu schützen. In der Klage wurde der Regierung vorgeworfen, mit ihren – zu wenig ambitionierten – CO -Reduktionszielen die in der Verfassung festgelegte Fürsorgepflicht für ihre Bürger zu verletzen. Das Gericht gab der Klage statt und berief sich in seinem Urteil unter anderem auf Artikel 21 der niederländischen Verfassung, aber auch auf internationale Konventionen zu Menschenrechten und Klimawandelabkommen. Nun ist das Land gezwungen, seine Emissionen bis Ende 2020 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu senken; in den Jahren zuvor waren die Emissionen nur leicht gefallen. Daraus ergibt sich Klarheit für Investoren: Der notwendige politische Kurs ist nun rechtlich verankert und die Niederlande streben Klimaneutralität bis 2050 an. Der Kohleausstieg ist ebenfalls rechtlich beschlossene Sache, genau wie ein reduziertes Tempolimit auf niederländischen Autobahnen. Gleichzeitig ergeben sich aus diesem Urteil aber auch ökonomische Folgen für jene Unternehmen und Investoren, die bislang gegen den Klimaschutz „gewettet“ hatten. Das Urteil in den Niederlanden macht klar: Investoren können „Klagen für das Klima“ nicht mehr ignorieren.

Klimaklagen gewinnen an Bedeutung

Es ist bemerkenswert, dass Klimaklagen schon in den Jahren vor dem Pariser Klimaabkommen eine wichtige, in der Öffentlichkeit aber kaum beachtete Rolle spielten.

Die Überzeugung, dass das unverantwortliche Handeln – besonders im Hinblick auf Treibhausgasemissionen – von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen negative, irreversible Auswirkungen auf unsere Umwelt hat, veranlasste im März 2015 eine internationale Gruppe von Juristen und Wissenschaftlern dazu, die „Oslo Principles“ zu formulieren und festzulegen. Bereits vor dem Pariser Klimaabkommen im Dezember 2015 bestanden aus Sicht dieser Experten-Gruppe ausreichend gesetzliche Regelungen, den Klimawandel zu begrenzen. Gerade aber die Nicht-Berücksichtigung dieser schon bestehenden Vorschriften – vor allem in den Industrienationen – und die weit verbreitete Inaktivität stellen aus ihrer Sicht bereits Verstöße dar, die zu möglichen Klagen führen können. Gemäß den Oslo-Prinzipien verstößt daher eine Vielzahl von Unternehmen und Staaten gegen geltende Rechtsvorschriften, ohne dass es bisher zu juristischen Konsequenzen für sie kam. Es galt: „Wo kein Kläger, da kein Richter“ oder in der „Sprache der Juristen“: „Nullo actore, nullus iudex“.

Dies hat sich mittlerweile jedoch geändert: Laut einer aktuellen Studie der London School of Economics existierten bis zum Sommer 2019 mehr als 1.300 Klagen in mehr als 28 Ländern. Geklagt wird dabei sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern und sogar im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen.

Dass alleine die USA mehr als 1.000 Fälle von Klimaklagen verzeichnen, spiegelt einerseits das amerikanische Rechtssystem, andererseits aber auch den Widerstand gegen die „heikle“ Klimapolitik der Trump-Administration wider. Der versuchte „Rückbau“ der Umweltschutzstandards in den USA scheitert – nicht nur in Kalifornien – in vielen Fällen vor den amerikanischen Gerichten.

International stehen nicht mehr nur Länder und Regierungen im Fokus der Anklage; vielfältige Klagekonstellationen sind denkbar. Abbildung 1 zeigt auf der folgenden Seite, dass bislang allerdings – wenig überraschend – mehrheitlich Regierungen und Unternehmen die Beklagten sind. Als Kläger treten vergleichsweise oft Unternehmen auf, aber auch Einzelpersonen und NGOs. Unternehmen klagen in vielen dieser Prozesse allerdings gegen zu strenge Klima-Regelungen oder Vorschriften, die sie in ihrer Geschäftstätigkeit behindern.

Abbildung 1: Übersicht zu Klägern und Beklagten

(Auswertung basierend auf Klimaklagen in 25 Ländern - ohne die USA)

Übersicht zu Klägern und Beklagten
Quelle:LSE, Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment. Studie: Global trends in climate change legislation and litigation: 2018 snapshot

Die folgenden Abbildungen 2 und 3 verdeutlichen ergänzend, dass es besonders ab dem Jahr 2005 in den USA – aber auch im Rest der Welt – zu einem starken Anstieg von Klimaklagen insgesamt gekommen ist. Diese Entwicklung wurde auch durch den Klimagipfel in Montreal begünstigt. Die Zusammenkunft lieferte zwar keine festen Ziele zur CO-Reduktion. Allerdings verständigten sich die Teilnehmer auf eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls – samt Kontrollsystem – und weiterführende Initiativen zur Senkung der CO-Emissionen. Eingereicht wurden die Klagen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Personen. Gerade in den letzten Jahren hat vor allem die Bedeutung von NGOs und Privatpersonen als Kläger zugenommen.

Abbildung 2: Klimaklagen nach Klägergruppen in den USA (1990-2016)

Klimaklagen nach Klägergruppen in den USA
Quelle:LSE, Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment. Studie: Global trends in climate change litigation: 2019 snapshot

Abbildung 3: Klimaklagen nach Klägergruppen ex USA (1994-2018)

Klimaklagen nach Klägergruppen ex USA
Quelle: LSE, Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment. Studie: Global trends in climate change litigation: 2019 snapshot

Vielfältige Klagekonstellationen denkbar

Bei den „Klage-Typen“ kann – auch in Abhängigkeit von den nationalen Rechtssystemen – zwischen zivilrechtlichen Klagen sowie Klagen gegen die Exekutive („Verwaltungsklagen“) im Allgemeinen und hierbei Verfassungsbeschwerden im Besonderen unterschieden werden. Verfahren, die Verstöße gegen die jeweilige Verfassung eines Landes als Grundlage haben, sind dabei oftmals eher grundsätzlicher Natur und können dem Zweck dienen, strengere Regelungen einzuführen. Oder sie fordern, sich an bereits geltende Vorschriften – nationale wie internationale – (besser) zu halten. Beklagte sind in diesen Fällen in der Regel Staaten oder öffentliche Körperschaften. In Zivilprozessen wird hingegen in vielen Prozessen auf Schadensersatz im Zusammenhang mit Schäden durch den Klimawandel selbst geklagt – in diesen Fällen sitzen vor allem Unternehmen auf der Anklagebank. Bei den Klage-Typen lohnt sich eine weitere Unterscheidung zwischen strategischen Klagen und „Routine“-Klagen: Während strategisch angelegte Klagen durch Präzedenzfälle neues Recht schaffen wollen, geht es bei den Routine-Klagen vor allem um die Durchsetzung bestehenden Rechts.

Bei Klagen für mehr Klimaschutz kann man grundsätzlich drei wichtige Klagegründe unterscheiden:

  • „Failure to Mitigate“

Der erste Klagegrund ist das Versäumnis von Staaten oder Unternehmen, den Klimawandel zu begrenzen („Failure to Mitigate“). Solche Klagen sind, wie am Beispiel der Niederlande zuvor verdeutlicht, oft strategischer Natur und zielen zumeist auf öffentliche Aufmerksamkeit und politische Konsequenzen ab. Zwei unterschiedliche Klagevarianten sind hier generell denkbar:

  • Bürger oder NGOs verklagen Regierungen auf mehr Klimaschutz.
  • Regierungen oder NGOs verklagen große Treibhausgasemittenten auf mehr Klimaschutz oder Schadenersatz wegen nicht erfolgtem Klimaschutz. 

Erfolgreiche Beispiele für die erste Variante gibt es, wie bereits erläutert, in den Niederlanden oder auch in Neuseeland. Ähnlich wie nun der oberste niederländische Gerichtshof bestätigt hat, dass ein zu schwacher Klimaschutz Menschenrechte verletzt, ist nicht unwahrscheinlich, dass auch andere europäische Verfassungsgerichte zu kritischen Ergebnissen kommen – in Abhängigkeit der jeweiligen Verfassung natürlich. Weitere, ähnlich gelagerte Klagen laufen aktuell in Frankreich, Belgien, Irland, den USA und der EU als Ganzes. Auch in Deutschland wird sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Klage beschäftigen müssen: Unter dem Zeichen 1 BvR 2656/18 liegt eine „Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen geeigneter gesetzlicher Vorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durch die Bundesrepublik Deutschland“ vor. In der Beschwerde werfen Bürger, aber auch NGOs, der Bundesregierung vor, nicht ihren Pflichten gemäß Artikel 2 und Artikel 14 GG nachzukommen. In der Argumentation ist die Klage – fast schon erwartungsgemäß – an die erfolgreiche Klage in den Niederlanden angelehnt.

Von der zweiten Klage-Variante gibt es viele laufende, aber noch wenige erfolgreiche Verfahren: In Polen verklagt beispielsweise Greenpeace den Stromversorger PGE Polska Grupa Energetyczna, um neue Investments in Kohlekraftwerke aufzuhalten (Greenpeace Poland v. PGE). Ein ähnliches Verfahren läuft gegen das polnische Unternehmen Enea (ClientEarth v. Enea). Die Stadt New York hat die Ölkonzerne BP, Chevron, Conoco Phillips, Exxon Mobil und Royal Dutch Shell verklagt, da diese wissentlich die eigene Verantwortung für den Klimawandel heruntergespielt und dadurch Schäden für die Stadt verursacht hätten (City of New York v. BP p.l.c). Hier zeigt sich auch das Ausmaß möglicher Schadenersatzansprüche: New York fordert von den Ölkonzernen eine „angemessene“ Erstattung der Kosten von erfolgten sowie in Zukunft notwendigen Schutzmaßnahmen für Einwohner und deren Eigentum gegen die Folgen des Klimawandels. Allein der Überflutungsschutz kostet laut dem „US Army Corps of Engineers“ bis zu 118 Milliarden US Dollar.

Ein ähnlicher Fall in Deutschland ist nicht weniger spektakulär: Der peruanische Bauer Saul Luciano Lliuya – unterstützt durch die deutsche NGO Germanwatch – wirft dem Versorgungskonzern RWE in einer Zivilrechtsklage vor, durch seine hohen CO-Emissionen zum Abschmelzen peruanischer Gletscher beizutragen (Lliuya v. RWE AG). Sein Argument für die Schadensersatzklage basiert auf § 1004 BGB: Die mit dem Klimawandel einhergehenden Effekte gefährden und beeinträchtigen seinen Beruf und das Wohlergehen seiner gesamten Familie in Peru. Zunächst wurde die Klage abgewiesen mit dem Hinweis: Die „lineare Kausalität“ sei nicht eindeutig nachgewiesen worden. In der Berufung urteilte die nächsthöhere Instanz – das OLG Hamm – aber anders und ordnete an, dass eine Beweisaufnahme vor Ort – also in Peru – erfolgen soll. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Vorhandensein von mehreren Verursachern (in diesem Fall: große CO2-Emittenten) eine „Störungsbeseitigung“ nicht grundsätzlich unmöglich machen kann. Das abschließende Urteil steht zwar noch aus, aber allein die Weiterverfolgung der Klage an einem deutschen Gericht hat für Aufsehen gesorgt und macht deutlich: Folgen des Klimawandels sind kein nationales Problem mehr. Mit Klagen aus dem Ausland ist zu rechnen, denn: Gemäß den Rom-II-Verordnungen ist deutsches Recht bei (globalen) Umweltschäden anwendbar und der Kläger kann für seine Klage den Ort des Schadens wählen – in diesem Falle: Peru.

Die Erfolgsaussichten in solchen Fällen sind noch unklar, da man zum Beispiel Ölkonzernen zunächst nachweisen muss, dass ihre Geschäftspolitik konkret und direkt zu stärkeren Überflutungen in New York geführt hat. Sollte es allerdings einen Präzedenzfall geben, was durch die Fortschritte in den Klimawissenschaften immer wahrscheinlicher wird, könnte solch ein gerichtlicher Erfolg zu einer enormen Klagewelle in ähnlichen Bereichen führen. Dadurch wären nicht nur Klagen gegen Ölkonzerne, sondern auch gegen Kraftwerksbetreiber, Stahl- und Zementhersteller oder Fluglinien durchaus denkbar.

  • „Failure to Adapt“

Der zweite Klagegrund ist das Versäumnis von Staaten oder Unternehmen, sich ausreichend auf die unabwendbaren (physischen) Risiken und möglichen Schäden durch den Klimawandel vorzubereiten („Failure to Adapt“). So hatten zum Beispiel im Jahr 2016 Hausbesitzer in Ontario (Kanada) Klage gegen die kanadische Regierung erhoben, da diese sich unzureichend gegen Überflutungsrisiken geschützt sahen.

  • „Failure to Disclose“ 

Zur unzureichenden Vorbereitung auf den Klimawandel zählt in einer Vielzahl von Fällen allerdings auch das Versäumnis von Unternehmen, ausreichend über die Risiken des Klimawandels aufzuklären („Failure to Disclose“), was zu Risiken für die Unternehmen selbst, aber auch bei Investoren führen kann. Erneut lassen sich zwei wichtige Fallkonstellationen unterscheiden:

  • Regulatorische Untersuchungen oder Klagen von Investoren gegen (das Management von) Unternehmen, wenn diese falsche oder gar keine Auskünfte über Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel bereitstellen. Vor allem dann, wenn es durch dieses Fehlverhalten zu Vermögensverlusten gekommen ist.
  • Klagen von Investoren, aber auch von Unternehmen selbst, gegen Beraterfirmen (wie zum Beispiel Ratingagenturen und spezialisierte Prüfungsgesellschaften), wenn diese nicht ausreichend auf Klimawandelrisiken hingewiesen haben.

Risiken für Unternehmen und Investoren durch Klimaklagen nehmen zu

Es wird deutlich: Es existieren eine Vielzahl von Konstellationen und Gründen im Zusammenhang mit Klimaklagen. Gleichzeitig zeigen Fälle wie in den Niederlanden, dass diese Risiken für Investoren – aber natürlich auch für die Beklagten selbst – nicht mehr nur theoretischer Natur sind. Noch ist es zu früh, um abschließend beurteilen zu können, wie erfolgreich Klimaklagen in der Summe sein werden. Denn: Viele Gerichtsverfahren sind langwierig und erste Ergebnisse werden (sofort) von der unterlegenen Partei angefochten, sodass bislang nur wenige, abschließende Urteile vorliegen. Dennoch: Selbst wenn einige der bislang eingereichten Klagen nicht erfolgreich sein werden, so haben sich mittlerweile Klimaklagen längst in der öffentlichen Wahrnehmung etabliert. Auch dadurch stehen Staaten und Unternehmen zunehmend unter dem Druck, öffentlichkeitswirksame Prozesse zu vermeiden, in denen ihnen Missmanagement und Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel vorgeworfen werden.

Konkrete Risiken für Unternehmen können sein:

  • Änderung der politischen Rahmenbedingungen durch strategische Präzedenzfälle. So wurde zum Beispiel im Juni 2019 in Polen die zuvor erteilte Genehmigung für den Bau eines Kohlekraftwerks durch den obersten polnischen Verwaltungsgerichtshof abschließend wieder zurückgenommen.

  • Hohe Geldstrafen sowie Prozess- und Anwaltskosten können die Profitabilität und Liquidität der beklagten Unternehmen verringern. Dabei belasten Rechtsstreitigkeiten die Bilanz von betroffenen Unternehmen durch notwendige Rückstellungen oft schon weit vor der eigentlichen Urteilsverkündung.

  • Die möglicherweise durch Rückstellungen drohende Verschlechterung von kapitalmarktrelevanten Unternehmensratings kann den Zugang zum Kapitalmarkt erschweren.

  • Neben einer Einzelklage sind auch Sammelklagen möglich, bei denen verschiedene Kläger gemeinsam auf Schadenersatz klagen. Mit der Folge: Die Höhe möglicher Schadensersatzzahlungen steigt tendenziell an.

  • Komplexe, langjährige Rechtsstreitigkeiten können die Aufmerksamkeit und damit Kapazitäten des Managements zu stark binden. Zusätzlich droht in manchen Fällen ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, die den geschäftspolitischen Freiraum und die Zukunftsaussichten des betroffenen Unternehmens weiter einschränken.

  • Reputationsschäden drohen gerade bei strategischen Klagen, die öffentlichkeitswirksam verhandelt werden. Oftmals bleiben diese Schäden in der breiten Wahrnehmung präsent – selbst wenn das Unternehmen nicht verurteilt wird.

Zusätzlich sehen sich auch immer wieder Investoren selbst Klimaklagen ausgesetzt, wenn sie nicht transparent über Risiken und Chancen des Klimawandels berichten oder diese nicht ausreichend bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen. Nicht zuletzt deshalb wurde mit den sogenannten TCFD-Empfehlungen („Task Force on Climate-Related Financial Disclosures“) ein Rahmenwerk geschaffen, um diese Transparenz auf Investorenseite zu erhöhen. Ziel der TCFD ist ein verbessertes Verständnisses von Investoren für materielle klimarelevante Daten auf der Unternehmensseite. Die transparenten, einheitlichen Unternehmensbewertungen sollen die Beurteilung von Chancen und Risiken durch den Klimawandel erleichtern. 

Klimaklagen können helfen „die Spreu vom Weizen zu trennen“

Investoren, die bereits im Rahmen des aktiven Unternehmensdialogs auf Veränderungen bei weniger nachhaltigen Unternehmen drängen, können – neben dem klassischen Instrumentarium von individuellen und kollaborativen Engagements, Aktionärsanträgen, Reden und Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen – als weiteres probates Mittel zusätzlich auch den Klageweg beschreiten. Es ist damit zu rechnen, dass Unternehmen – öfter als in der Vergangenheit – wegen „Failure to Disclose“-Vergehen vermehrt mit solchen Klagen rechnen müssen. Vor allem dann, wenn Unternehmensdialoge und freiwillige Absichtserklärungen nicht die erhofften Ergebnisse liefern konnten.

Besonders nachhaltig agierende Unternehmen hingegen zeichnen sich durch überdurchschnittliche Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung aus. Solche Unternehmen stehen, insbesondere wenn sie im Umweltbereich gut aufgestellt sind, quasi per Definition nicht im Fokus von Klimaklagen, womit sie sich positiv von weniger nachhaltigen Konkurrenten absetzen können:

  • Erstens halten sich nachhaltige Unternehmen häufig überdurchschnittlich stark an die umwelt- und finanzrechtlichen Rahmenbedingungen. Eben diese Compliance macht sie erst zu besonders nachhaltigen Unternehmen. Sie sind deshalb – im Vergleich zu ihren Konkurrenten – einem geringeren Risiko ausgesetzt, wegen „Failure to Disclose“- oder „Failure to Mitigate“-Verfehlungen angeklagt zu werden.

  • Zweitens sind nachhaltig agierende Unternehmen – vor allem im Bereich des Klimaschutzes – mit der Tatsache konfrontiert, dass negative, externe Umwelteffekte von weniger nachhaltigen Unternehmen nicht explizit berücksichtigt werden: Zum Beispiel wenn Ökostrom genauso hoch wie Strom aus konventionellen Quellen (z.B. aus Kohle und Gas) besteuert wird, obwohl die Umweltfolgen sich massiv voneinander unterscheiden. Nachhaltige Unternehmen sind daher oftmals ein Profiteur von strategischen Klimaklagen (gegen Konkurrenten), wenn dadurch negative Externalitäten berücksichtigt oder aufgehoben werden können.

  • Drittens führen letztinstanzlich entschiedene Klimaklagen in vielen Fällen auch zu Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen. Profitieren werden davon bei erfolgreichen Klagen zunächst allerdings nur nachhaltig agierende Unternehmen. Nur bei ihnen sollte die durch Klimaklagen hergestellte Rechtssicherheit mit der eigenen Unternehmensplanung übereinstimmen. Für alle anderen Unternehmen bedeuten „klimafreundliche“ Urteile teilweise existenzbedrohende Umstrukturierungen. Positiv formuliert: Klimaklagen können notwendige Veränderungsprozesse auslösen.

Veränderungsprozesse durch Klimaklagen

Die beschriebenen Verfahren und Ziele von Klimaklagen können in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals einen „tadelnden und bestrafenden Beigeschmack“ besitzen. Denn: Oftmals machen (erst) Klimaklagen nicht-nachhaltigen Unternehmen klar: So geht es nicht weiter! In der Vergangenheit zeigte sich aber auch, dass gerade zu Beginn eines grundsätzlichen Veränderungsprozesses gesetzliche Regelungen und die Androhung von Klagen helfen können, um (regulatorischen) Druck auf Unternehmen aufzubauen. Klimaklagen dienen damit nicht nur zur Bestrafung und Abschreckung, sondern auch als „externe“ Motivation, das eigene Geschäftsmodell möglicherweise umzustellen.

Aktuell sind besonders Unternehmen im Bereich der Öl- und Gasförderung von solchen Litigationsrisiken betroffen, da diese nicht nur wegen „Failure to Mitigate“-, sondern auch wegen „Failure to Adapt“- und „Failure to Disclose“-Verstößen angeklagt werden. Wenn nun aber Unternehmen wie Repsol oder auch BP und Shell das Ziel der Treibhausgasneutralität anstreben, dann hatten entsprechende Klimaklagen – und damit einhergehende, drohende Risiken – sicherlich einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf deren Sinneswandel.

Fazit

Klimaklagen sind in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals noch ein relativ neues Phänomen im Kampf gegen den Klimawandel, das sich aber weltweit schnell ausbreitet und sowohl für Staaten, als auch für Unternehmen als jeweils Beklagte von zunehmender Bedeutung ist. In diversen Klagekonstellationen wird entweder für die Schaffung von neuen rechtlichen Vorschriften oder für die Durchsetzung bestehenden Rechts gestritten. Unter den drei wichtigsten Klagegründen („Failure to Mitigate“, „Failure to Adapt“ oder „Failure to Disclose“) gibt es eine Vielzahl an Fällen mit sehr individuellen Zielen und unterschiedlichen Erfolgsaussichten. Während es bei den Klagen zu unterlassenem Klimaschutz von Seiten einzelner Staaten bereits wichtige abschließende Urteile gibt, stehen wichtige, vergleichbare Anfangserfolge auf der Unternehmensseite noch aus. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass ein Fall eines verurteilten Unternehmens eine ganze Welle von weiteren Klagen auslösen könnte.

Aus diesem Grund sollten Klimaklagen von Unternehmen und Investoren gleichermaßen genau beobachtet werden. Denn: Für beide sind solche Klagen nicht nur wegen der reputationsschädigenden Wirkung gefährlich. Es drohen auch ernsthafte finanzielle Schäden durch mögliche Straf- und Entschädigungszahlungen. Diese könnten durch die bessere Möglichkeit von Sammelklagen im Volumen noch deutlich anwachsen. Es zeigt sich: Klimaklagen sind weit mehr als nur ein „rechtlich erhobener Zeigefinger“. Denn: Unter Nachhaltigkeitsaspekten gut geführten Unternehmen sollte es in der Zukunft besser gelingen, solche Klagen zu vermeiden und deshalb Investoren auch eine größere Gewissheit bei ihren Anlageentscheidungen zu liefern.

 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
01. Juli 2020, soweit nicht anders angegeben.