„Höhere Ertragserwartungen und Schutz vor Wertverlust“

17.05.2023 | Der Zins ist zurück. Unternehmensanleihen haben damit wieder an Attraktivität gewonnen. Doch hierbei kommt es ganz besonders auf die Auswahl an. Über die neuen Bedingungen in diesem Bereich spricht der Abteilungsleiter Geno-Banken Andreas Wolf mit Dr. Max Mihm, der im Portfoliomanagement von Union Investment als Senior Portfoliomanager für Unternehmensanleihen zuständig ist.

 

Andreas Wolf

Abteilungsleiter Geno-Banken bei Union Investment

 

Dr. Max Mihm

Senior Portfoliomanager für Unternehmensanleihen bei Union Investment

 

Andreas Wolf (AW): Das laufende Jahr hat sich am Rentenmarkt als Folge der Turbulenzen im Bankensektor erneut als schwankungsanfällig gezeigt. Doch blicken wir zuerst zurück: Wie haben sich im Vergleich zu 2022 die Bedingungen bei Rententiteln verändert, und welche Chancen bieten sich daraus für Anleger, die auf gute Kreditqualität setzen?

 

Max Mihm (MM): 2022 war ein Jahr der Extreme. Inzwischen ist die Situation eine völlig andere als vor einem Jahr. Der größte Unterschied für den Anleger gerade mittelfristig ist natürlich die viel höhere laufende Rendite. Bei Investment-Grade-Unternehmensanleihen liegen wir aktuell bei rund vier Prozent Durchschnittsrendite.

Das hat zwei ganz entscheidende Effekte. Besonders auf mittlere Sicht sind die Ertragsperspektiven viel höher als noch vor einem Jahr, als die Durchschnittsrendite bei einem Prozent oder sogar darunter lag. Das heißt, die finanzielle Repression, dieses Niedrigzinsumfeld, das wir ja über viele Jahre hatten, ist vorbei.

Zudem gibt es einen zweiten Effekt: den Schutz vor Wertverlust. Denn der hohe laufende Ertrag dämpft auch im Falle eines Renditeanstiegs den Wertverlust auf meiner Investition. Wenn man sich das auf zwölf Monate anschaut, dann müssen die Renditen bei Unternehmensanleihen über einen Prozentpunkt ansteigen, um überhaupt Verlust zu erwirtschaften. Das heißt, diese Anfälligkeit der Anlageklasse für Wertverlust, die natürlich gegeben war im Niedrigzinsumfeld, haben wir nicht mehr in dieser Form. Höhere Ertragserwartungen bedeuten gleichzeitig einen besseren Schutz vor Wertverlust.

 

AW: Es gilt der alte Spruch: „No free lunch“. Titelselektion ist das Entscheidende. Gibt es für den Corporate-Markt auch geopolitische oder ökonomische Risiken in diesem Jahr? Zuletzt haben wir ja auch Verwerfungen im Bankensektor gesehen.

 

MM: Ich sehe zwei große Risikoszenarien. In Bezug auf die Wirtschaft sehe ich vor allem das Risiko, dass die Inflation weiter hoch bleibt oder wieder beginnt, nach oben zu überraschen. Die Marktteilnehmer gehen ja im Grunde davon aus, dass Zentralbanken am Ende oder kurz vor Ende des Zinsanhebungszyklus stehen. Falls das nicht passiert, wäre das ein gewisses Risiko für die Märkte. Mittelfristig könnte durch die weiter steigenden Zinsen auch das Wirtschaftswachstum stärker leiden.

Eine restriktivere Kreditvergabe durch die Banken hätte vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen um die Silicon Valley Bank oder die Credit Suisse im Übrigen einen ähnlichen Effekt auf die Realwirtschaft. Eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität sehen wir aufgrund des beherzten Eingreifens der Aufseher und Notenbanken aber nicht.

Das zweite Risikoszenario ist eher auf die Geopolitik bezogen. Wir sehen ja leider in der Ukraine keine Entspannung, im Gegenteil schaukelt sich der Konflikt immer etwas weiter hoch. Und auch der Ton zwischen den USA und China wird rauer. Dieses zweite Konfliktfeld würde ein sehr viel höheres negatives Potenzial darstellen als das, was wir in der Ukraine aktuell sehen. Das sehe ich im Moment als Randrisiko, das negativ auf den Märkten lasten könnte.

 

AW: Kommen wir zum Thema Kreditqualität. Kannst du ein Beispiel geben, das zeigt, wie unser Analyseteam hier arbeitet und wie wir eine Anlageentscheidung treffen?

 

MM: Als fundamentaler Asset Manager haben wir eine ganz wichtige Regel: Wir investieren nur in die Anleihen, deren Emittenten wir sehr gut analysieren und kennen. Nur kalkulierbare Risiken werden für unsere Fonds auch eingegangen. Im letzten Jahr ist sehr viel passiert. Einige Geschäftsmodelle wurden ziemlich durcheinandergewirbelt im Zuge der Eskalation in der Ukraine. Wir hatten das Thema Gasmangellage. Da wurde an den Märkten auch einiges an Risiken eingepreist.

 

AW: Du machst es spannend …

 

MM: Ein konkretes Beispiel: Wir decken in der Analyse einen Versorger aus der Slowakei ab. Der hat auch eine große Beteiligung an einer Pipeline, die Gas aus der Ukraine nach Österreich und nach Tschechien transportiert. Berechtigterweise kam die Frage auf, ob diese Beteiligung noch werthaltig war oder ob eine Abschreibung drohte. Und was das für die Kreditqualität des Unternehmens bedeutet. Diese extreme Unsicherheit hat am Markt zu enormen Risikoprämien geführt.

Wir sind da sehr eng in die Kommunikation gegangen und haben mit dem CEO mehrere Gespräche geführt. Der hat uns genau dargelegt, wie seine Strategie aussieht, wenn kein Gas mehr fließt – oder wenn es weiterfließt. Und wie sich das auf das Kreditprofil auswirkt und welche Maßnahmen getroffen werden, um die Bilanz zu stabilisieren. Wir konnten uns danach ein sehr genaues Bild davon machen, wie die Risiken, aber auch die Chancen angesichts der Bewertung im Markt einzuschätzen sind. Und haben dann nicht verkauft. Im Nachhinein gesehen war das auch richtig.

 

Wir investieren nur in die Anleihen, deren Emittenten wir sehr gut analysieren und kennen.

Dr. Max Mihm

Senior Portfoliomanager für Unternehmensanleihen bei Union Investment

 

AW: Anlageentscheidungen genau kennen, genau hinterfragen: Da fällt mir sofort die Global Credit Platform – GCP – ein, ein Tool, das von Jahr zu Jahr mächtiger wird, unglaublich viel kann und auch unglaublich viel Nutzen stiftet. Vielleicht kannst du kurz erklären, was die GCP kann?

 

MM: Ja. Die GCP ist für uns wie ein Assistent, der uns unterstützt. Wir machen die Analyse klassisch, so wie gerade auszugsweise beschrieben. Aber wir haben eine Riesenanzahl an Emittenten, an Anleihen und auch Bewertungen in der GCP, die sich natürlich täglich ändern. Rein manuell ist das gar nicht zu stemmen. In der hauseigenen GCP laufen all diese Informationen aus unserem Research zu Anleihen, Beständen und Bewertungen zusammen. Aus diesen Daten lässt sich enorm viel ableiten. Wir haben Informationen zu über 65.000 Anleihen von über 8.600 Emittenten in dieser Plattform gebündelt. Die werden auf täglicher Basis bewertet und in ihrer Attraktivität mithilfe von Modellen und verschiedenen Tools eingeschätzt, die wir hier entwickelt haben.

 

AW: Was ist der konkrete Anwendungsfall?

 

MM: Das Thema Liquidität ist ganz wichtig. Anleihen handeln nicht immer liquide. Wenn ich jetzt in einem Mandat einen Mittelzufluss bekomme und möchte diesen investieren, will ich wissen, welche Anleihen überhaupt am Markt erwerbbar sind. Hier liefert die GCP Auswertungen, durch die ich genau mein investierbares Universum definieren kann, und zeigt, welche Titel auch zu einem guten Preis erwerbbar sind. Aus diesem immensen Datenschatz leiten wir jetzt auch zunehmend Auswertungen mithilfe künstlicher Intelligenz ab. Zum Beispiel ein Modell, das jede Neuemission analysiert und auswertet, ob diese Neuemissionen im Markt eine gute Entwicklungschance haben oder nicht.

Oder ein zweites Beispiel: Wir machen Prognosen für Spread-Entwicklungen basierend auf der Liquidität am Sekundärmarkt. Wir können hier empirisch ableiten, ob die Spreads künftig eher fallen oder eher steigen und wie wir uns in den Fonds hinsichtlich des Spread-Betas positionieren sollten. In der Summe unterstützt uns die GCP, Investitionsentscheidungen besser und schneller zu treffen und damit ein höheres Performancepotenzial in den Fonds zu realisieren.

 

AW: Sind wir als großer Asset Manager bei Neuemissionen im Vorteil?

 

MM: Neuemissionen sind bei uns immer ein integraler Bestandteil der Strategie. Mit Blick auf das vergangene Jahr lagen die Neuemissionsprämien bei zehn bis 20 Basispunkten. Aktuell ist das wieder etwas niedriger. Das hängt mit Marktvolatilität und -sentiment zusammen. Aber man bekommt im Schnitt schon eine Prämie, die sich vereinnahmen lässt.Der Emittent entscheidet dabei, wer wie viel Zuteilung bekommt.

Wir haben einen Vorteil, weil die Emittenten wissen, dass wir strategisch in eine Neuemission investieren und nicht direkt am ersten Tag wieder verkaufen. Deswegen bekommen wir Zuteilungen, die im Schnitt deutlich höher sind als das, was ein Marktteilnehmer ansonsten bekommt. Das ist vorteilhaft, wenn man die Neuemissionsprämie vereinnahmt. Deswegen sind die Investoren, die jetzt bei Union Investment in Fonds oder über Spezialfonds investiert sind, in gewisser Weise im Vorteil, was den Primärmarkt anbetrifft.

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Andreas Wolf

Als Abteilungsleiter Geno-Banken ist Andreas Wolf bei Union Investment seit 1998 in der Beratung und Betreuung institutioneller Mandate – insbesondere von Genossenschaftsbanken – tätig. Die von dem Diplom-Volkswirt geleitete Abteilung im Bereich Geno-Banken-Mittelstand ist aktuell für die Kundenbetreuung von Mandaten mit einem Gesamtvolumen von über 43 Milliarden Euro verantwortlich.

 

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Dr. Max Mihm

Seit 2012 ist Dr. Max Mihm als Senior Portfoliomanager Unternehmensanleihen bei Union Investment zuständig für die Analyse zyklischer Industrieunternehmen. Der Diplom-Wirtschaftsingenieur promovierte an der Technischen Universität Dresden über quantitative Anlagestrategien. Praktische Erfahrungen sammelte Mihm bei der Deutschen Bank und der Dresdner Bank in den Bereichen derivative Wertpapiere und börsengehandelte Indexfonds.

AW: Noch ein Wort zum großen Thema Nachhaltigkeit. Wie wichtig ist das im Bereich Corporate Bonds?

 

MM: Nachhaltigkeit ist auch bei Unternehmensanleihen ein Riesenthema. Viele Investoren schauen da verstärkt drauf. Wir richten unseren Research-Prozess stringent und kontinuierlich danach aus. Die Informationsbasis ist viel breiter geworden. Wir haben sehr detaillierte Informationen zum Einfluss der Unternehmen auf die Klimaveränderung über verschiedene Betrachtungsrahmen, also von den Zulieferern bis hin zur Nutzung des Endprodukts. Aber auch Aspekte wie Biodiversität gewinnen an Bedeutung – auch von der Regulatorik getrieben.

 

AW: Welche neuen Entwicklungen gibt es in Sachen Nachhaltigkeit bei der Beurteilung der Emittenten?

 

MM: Ein Trend ist, stärker auf eine Zukunftsbetrachtung zu achten. Also, inwieweit ein Unternehmen befähigt ist für eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.

 

AW: Kannst du das anhand eines Beispiels mal erklären?

 

MM: Im Baustoffsektor analysiere ich etwa Zementhersteller, die natürlich sehr hohe CO2-Emissionen verursachen über die Prozessemissionen, aber auch, weil sie sehr viel Energie aufwenden müssen. Wir sind hier mit den Unternehmen ins Gespräch gegangen und haben deren Emissionssenkungspläne beurteilt und verglichen. Diese Informationen helfen auch in der klassischen Kreditanalyse. Denn der Zementhersteller, der in der Lage ist, diese Herausforderung schneller zu meistern als andere, hat auch einen finanziellen Vorteil. Solche Informationen fließen in die Selektion mit ein – es gibt hier eine enge Verzahnung und Verknüpfung der Nachhaltigkeitsthematik in unserem Investmentprozess.

Im Übrigen hat sich auch die EZB eigene Nachhaltigkeitsziele gesetzt und will jetzt verstärkt in die Unternehmensanleihen investieren, die nachhaltiger sind. Hier sieht man in der Bewertung am Markt einen Effekt. Emittenten, die sehr gute Nachhaltigkeitsprofile haben, dürften stärker am Markt nachgefragt sein.

 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 13. April 2023, soweit nicht anders angegeben.

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