Grüne Industriepolitik: Wer bietet mehr?

18.04.2023 | Hat die Europäische Union eine Zukunft als Produktionsstandort für Batterien oder Computerchips? Der „Green Deal Industrial Plan“ soll den „Inflation Reduction Act“ der USA kontern. Die Richtung stimmt, aber es bleiben Fragezeichen – und wichtige Standortnachteile der EU werden nicht adressiert.

Das Wichtigste für Sie in Kürze

  • Die EU gibt eine industriepolitische Antwort auf den „Inflation Reduction Act“ der USA
  • Die Richtung des EU-Plans stimmt, allerdings handelt es sich nicht um den großen Wurf
  • Gefahr, dass Europa im Wachstumswettlauf mit den USA nachhaltig ins Hintertreffen gerät

Wettlauf um Milliardeninvestitionen

Als im Juli 2022 der Baubeginn der VW-Batteriefabrik in Salzgitter gefeiert wurde, erinnerte Bundeskanzler Olaf Scholz an die Herausforderung des Landes, die Klimatransformation zu vollziehen und zugleich Industrieland zu bleiben. „Darum ist klar, dass wir eine eigene Batteriezellenproduktion brauchen, hier bei uns in Europa, hier bei uns in Deutschland und hier bei Ihnen in Salzgitter“, sagte Scholz.1

Ob es so kommt, ist eine offene Frage. Eigentlich wollte Volkswagen bis Ende des Jahrzehnts sechs Batteriefabriken in Europa errichten, doch der geographische Fokus verschiebt sich: Während der Bau einer in Osteuropa geplanten Batteriefabrik auf Eis liegt, wird Volkswagen die nächste Produktionsanlage in Nordamerika errichten. Der Grund: der „Inflation Reduction Act“ (IRA) von US-Präsident Joe Biden. Das milliardenschwere Programm hat den Standort USA attraktiver für Investitionen gemacht – zu Lasten des alten Kontinents. Nun hat Brüssel mit dem „Green Deal Industrial Plan for the Net-Zero Age“ eine europäische Antwort auf den IRA vorgelegt. Welche Probleme werden adressiert – und welche nicht? Welche Sektoren könnten profitieren?

USA: Inflation Reduction Act

Ausgangspunkt unserer Analyse stellt der IRA in den Vereinigten Staaten dar. Die Regierung unter Präsident Biden hat Investitionspakete in einer Größenordnung von rund 1.260 Milliarden US-Dollar mit den Zielen geschnürt, die grüne Transformation voranzutreiben, die Restrukturierung strategischer Lieferketten zu forcieren und somit die Abhängigkeit von Drittstaaten bei wichtigen Technologien zu reduzieren. Ein Drittel der staatlichen Investitionen, also über 430 Milliarden US-Dollar, fließt in den IRA. Der Schwerpunkt liegt auf Investitionen in Energiesicherheit und Klimawandel. Die staatlichen Bemühungen zeigen bereits Wirkungen: Immer mehr Unternehmen kündigen umfangreiche Investitionen in den Vereinigten Staaten an. So gab etwa der taiwanische Halbleiterriese TSMC im Dezember 2022 bekannt, insgesamt 40 Milliarden US-Dollar für den Bau von Chip-Fabriken im Bundestaat Arizona in die Hand nehmen zu wollen. Die US-Wirtschaftspolitik schlägt sich auch bereits in makroökonomischen Daten nieder. Seit dem Jahr 2021 steigen die Anlageinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe deutlich, maßgeblich getrieben durch die Bereiche Computer, Elektronik und Elektrik.

Die Finanzmittel des Inflation Reduction Acts belaufen sich auf

1,9 Prozent

des US-BIP.

Der Grund: Die US-Wirtschaftspolitik senkt die Produktionskosten und macht so nordamerikanische Standorte attraktiver. Dies gilt beispielsweise für die Herstellung von Batteriemodulen. In den USA sind die Produktionskosten durch die Subventionen nun signifikant günstiger als in der Europäischen Union (EU). Es besteht das Risiko, dass eine ganze Industrie Europa den Rücken kehrt (siehe Abbildung).

Europäische Batterieproduktion in Gefahr​

Risikoeinstufung der Gefahr eines Abzugs der Batterieproduktion in der EU; bezogen auf prognostizierte Kapazität im Jahr 2030 in Höhe von 1,8 Terrawattstunden​

Europäische Batterieproduktion in Gefahr​
Quellen: European Federation for Transport and Environment, Union Investment. Stand: März 2023

Eine europäische Antwort auf diese Entwicklung ist überfällig. Denn Europa läuft nicht nur Gefahr, den Anschluss beim Klimaschutz zu verpassen. Es droht auch der Verlust von Produktionskapazitäten im verarbeitenden Gewerbe, gerade im Bereich wichtiger Zukunftstechnologien.

EU: „Green Deal Industrial Plan for the Net-Zero Age“

Als Reaktion auf die US-amerikanische Wirtschaftspolitik, aber auch auf die industriepolitischen Ambitionen Chinas, hat die Europäische Kommission Anfang Februar den „Green Deal Industrial Plan for the Net-Zero Age“ vorgestellt, der verschiedene Maßnahmen umfasst.

Europäische Union und USA im Subventionswettlauf.

Mit dem „Net-Zero Industry Act“ soll die Ansiedelung zukunftsweisender grüner Technologien gefördert werden. Ziel ist, die Produktionskapazitäten für strategische Technologien auszuweiten, die unerlässlich sind, um Klimaneutralität zu erreichen. Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfes an acht „Netto-Null-Technologien“ in der EU produziert werden. Dazu gehören Wind- und Solaranlagen, Batterien, Wärmepumpen und Geothermie ebenso wie Wasserstoff-Anlagen, CO2-Abscheidung und -Speicherung, Stromnetzinfrastruktur sowie Biogas und -methan. Sie werden zu Technologien erklärt, an denen ein übergeordnetes öffentliches Interesse besteht, und erhalten deshalb Priorität bei Genehmigungsdauer (die so verkürzt werden soll) und Subventionen. Zudem sollen heimische Produzenten bei öffentlichen Ausschreibungen stärker berücksichtigt werden.

Der „Critical Raw Materials Act“ bezieht sich auf die Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen. So sollen im Jahr 2030 etwa 10 Prozent der strategisch wichtigen Rohstoffe in der EU abgebaut werden und 40 Prozent hier weiterverarbeitet beziehungsweise veredelt werden. Um den Zugang zu Finanzmitteln für die Erreichung dieses Ziels zu vereinfachen, hat die EU das Beihilferecht gelockert, damit die Mitgliedsländer einfacher nationale Subventionen vergeben können. Bis zum Jahr 2025 soll ein „Krisen- und Übergangsregelwerk“ gelten – dies erlaubt es den Mitgliedstaaten im Extremfall, bis zu 100 Prozent der Investitionssumme für geplante Projekte von Unternehmen zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Unternehmen in einem Drittstaat Hilfen in gleicher Höhe in Aussicht gestellt bekommen.

Umwidmung statt „echtes neues Geld“

Finanziert werden soll das europäische Programm vor allem durch die Umwidmung bereits vorhandener, aber nicht genutzter EU-Finanzmittel. Dazu zählen beispielsweise die noch zur Verfügung stehenden Kredite aus dem Wiederaufbaufonds oder der „Brexit Adjustment Reserve“. Das Finanzierungsvolumen beläuft sich auf eine Summe von etwa 277 Milliarden Euro, die sich aus Zuschüssen, Krediten und staatlichen Garantien zusammensetzt.

Bis zum Sommer plant die Europäische Kommission außerdem einen Vorschlag für einen „Europäischen Souveränitätsfonds “ vorzulegen. Auch wenn diese Idee bislang nicht näher konkretisiert wurde, könnte dies die Aufnahme von neuem Geld auf dem Kapitalmarkt durch die EU bedeuten. Allerdings sind Stand heute die Erfolgsaussichten sehr gering, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf ein solches Instrument einigen können.

Bewertung: Gute Ansätze, aber kein großer Wurf

Auch wenn viele Fragen noch offen sind, lässt sich ein erstes Fazit zur wirtschaftspolitischen Antwort der EU auf die Konkurrenz aus China und den USA ziehen. Positiv zu bewerten ist, dass die EU die grüne Transformation erstmals über die Angebotsseite forcieren will. Bisher gestaltete die EU Klimapolitik vor allem über die Nachfrageseite, etwa durch Kaufanreize für Verbraucher. Auch die Summen können sich sehen lassen: Das europäische Paket entspricht 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und bewegt sich damit vom reinen Finanzvolumen her gesehen auf vergleichbarem Niveau mit dem IRA.

Ein großer Wurf ist der Plan der Europäischen Kommission allerdings nicht. Tatsächlich ist unklar, ob und inwieweit die ambitionierten Ziele erreicht werden können. Subventionen, Priorisierung Europas bei Ausschreibungen und schnellere Genehmigungsverfahren – wird das ausreichen, um auch private Investitionen in einer relevanten Größenordnung anzuregen? Zudem bleibt offen, wie beschleunigte Genehmigungen für Projekte realisiert werden sollen. Notwendig wären dafür vor allem Produktivitätssteigerungen im öffentlichen Dienst durch Digitalisierung.

Problematisch ist auch, dass es sich bei den finanziellen Mitteln überwiegend nicht um „neues Geld“ handelt, sondern um umgewidmete Mittel aus verschiedenen EU-Töpfen. Warum wurden diese Gelder bisher nicht abgerufen? Werden sie künftig in voller Höhe und für den intendierten Zweck eingesetzt? Die Lockerung bei den Beihilferegeln birgt sogar das Risiko, den Binnenmarkt zu fragmentieren. Denn es sind gerade die fiskalisch gut aufgestellten Länder mit einer soliden industriellen Basis, also vor allem Deutschland und Frankreich, die von der Flexibilisierung der Beihilferegeln profitieren.

Der bedeutendste Nachteil des industriepolitischen Ansatzes der Europäischen Kommission ist allerdings, dass grundlegende Probleme des Wettbewerbsstandortes Europa nicht angegangen werden: Die Banken- und Kapitalmarktunion ist nach wie vor unvollendet, die Energiepreise sind um ein Mehrfaches höher als in den Vereinigten Staaten und auch die Arbeitskräftemobilität ist geringer. All dies lastet auf dem Wettbewerbsstandort Europa und ist für die Ansiedelung von Produktionsstätten entscheidender als Subventionen im Bereich der grünen Technologien.

Wirkung auf Wachstum und Sektoren

Welche Wirkungen sind durch den industriepolitischen Vorstoß der EU gesamtwirtschaftlich und auf Sektor-Ebene zu erwarten? In früheren Veröffentlichungen hatten wir argumentiert, dass der aus den USA ausgehende physische Investitionsboom zu höherem Wachstum, höherer Inflation und einem höheren Zinsniveau führt2. Durch Investitionen in grüne Technologien wird einerseits die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kurzfristig gestärkt. Andererseits heben diese Investitionen langfristig Wachstumspotential und Produktivität. Aufbauend auf der Folgerung, dass die europäische Industriepolitik mit deutlichen Fragezeichen versehen ist, wird der Wachstumstrend hierzulande flacher als in den USA verlaufen. Bei der Höhe der Inflation dürfte dagegen wenig Unterschied zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken bestehen. Allerdings unterscheiden sich die Treiber: Während in der EU ein geringerer nachfrageinduzierter Inflationsdruck als in den USA herrscht, wirken höhere Energiekosten preistreibend. Ähnlich sieht es bei den Zinsen aus: In Europa trifft eine im Vergleich zu den USA geringere Nachfrage nach Kapital auf ein (durch die unvollendete Kapital- und Bankenunion) geringeres Kapitalangebot. Europa läuft somit Gefahr, im Wettlauf mit den USA nachhaltig ins Hintertreffen zu geraten. Es droht eine ungute Gemengelage aus geringerem Wachstum, aber gleich hoher Inflation. Trotz dieser Schwächen profitieren einzelne Sektoren von der wirtschaftspolitischen Agenda der EU. Dazu zählen beispielsweise die Anbieter von Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen sowie von Energiespeichern und Elektrolyseanlagen. Im Chemiebereich könnte sich durch Industriestromsubventionen und Zuschüsse für Wasserstoff und CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) das Geschäft von Unternehmen verbessern, die im Geschäft mit Zement und Stahl sind. Dies gilt ferner auch für Unternehmen im Anlagen- und Maschinenbau und im Recycling.

Insgesamt ist es auf Sektor-Ebene aber noch zu früh, um abschließend zu beurteilen, ob der „Green Plan“ die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Vergleich zu den USA stark verbessern wird. Subventionen für längerfristige Investitionsausgaben werden dabei nicht ausreichen: Zu schwerwiegend sind die operativen Probleme für Unternehmen – wie zum Beispiel der bislang fehlende vergünstigte Industriestrompreis, für den es noch immer keinen Plan gibt. Dies sind klare Nachteile des Investitionsstandorts EU, die bislang auch der „Green Deal Industrial Plan for the Net-Zero Age“ nicht ausreichend adressiert.

 

Ein Beitrag von Katja Filzek, Marco Weber und Christopher Krämer.

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 18. April 2023, soweit nicht anders angegeben.

  1. 1 Rede von Bundeskanzler Scholz zum Start der "Mission SalzGiga" und der Grundsteinlegung der Volkswagen-Zellfabrik am 7. Juli 2022 (bundesregierung.de)
  2. 2 Das Ende der Stabilität: Investieren in einer volatileren Welt, White Paper Risikomanagement 2022: Asset Allocation Strategy

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