E-Autos aus China auf der Überholspur

10.07.2023 | E-Autos aus China drängen auf den Weltmarkt. Die chinesischen Hersteller haben Kostenvorteile, dominieren Rohstofflieferketten und sind führend in der Batterietechnologie – auch weil ESG-Aspekte dort kaum eine Rolle spielen. Dennoch sind europäischen Autobauer nicht chancenlos.

Das Wichtigste für Sie in Kürze

  • China hat Kostenvorteile, dominiert Rohstofflieferketten und führt bei Batterietechnologie
  • Die Kehrseite: Großer CO2-Fußabdruck, laxe Umweltauflagen und problematische Menschenrechtslage
  • Europäische Unternehmen sind nicht chancenlos – zudem könnte die EU den Heimatmarkt regulieren

Wachablösung an der Spitze in China

Tausende Bestellungen in den ersten 24 Stunden – der Seagull des chinesischen Herstellers BYD zog im Frühjahr auf der Automesse in Shanghai großes Interesse auf sich. Die Besonderheit: Ein Einstiegspreis von umgerechnet weniger als 10.000 Euro für einen vollwertigen Elektro-Kleinwagen – und damit weitaus weniger als für vergleichbare Modelle. Der Seagull könnte in kurzer Zeit zum meistverkauften Auto in China werden, kommentierte ein Analyst.1

Chinesische Autohersteller wie BYD, Wuling oder Geely erhöhen das Tempo. Im ersten Halbjahr 2023 konnte BYD in China mehr Fahrzeuge verkaufen als Volkswagen, das 20 Jahre vorne lag. Das sind keine guten Nachrichten für die deutschen Autobauer, denn das China-Geschäft ist von großer Bedeutung: Beispielsweise verkauft Volkswagen dort rund 37 Prozent seiner Fahrzeuge, allerdings vor allem Verbrenner. Der chinesische Erfolg beschränkt sich zudem nicht nur auf den Heimatmarkt: Im vergangenen Jahr hat China mehr Autos ins Ausland exportiert als Deutschland. In diesem anGEDACHT gehen wir der Frage nach, warum die chinesische Automobilindustrie bei der E-Mobilität so stark ist – und zeigen, welche Chancen sich den Europäern weiterhin bieten.

 

China ist weltgrößter Markt für E-Autos

Elektroautos sind ein Wachstumsmarkt: Für 2023 erwartet die Internationale Energieagentur IEA einen Anstieg des Absatzes um mehr als ein Drittel auf 14 Millionen Fahrzeuge.2 Im vergangenen Jahr wurden weltweit rund zehn Millionen Fahrzeuge verkauft.3 China ist der weltweit größte Markt: 2022 wurden dort 4,4 Millionen vollelektrische Fahrzeuge verkauft, dazu kamen noch 1,5 Millionen Plug-in-Hybrid-Autos. Auf ihrem Heimatmarkt geben die Chinesen bei der Elektromobilität den Ton an, in den vergangenen Jahren ist eine bedeutende Industrie mit zahlreichen Herstellern entstanden.

China hat 2022 insgesamt

2,67 Millionen Fahrzeuge

exportiert.

Auch der chinesische Autoexport nimmt zu und wird vor allem durch E-Fahrzeuge getrieben: China exportierte im Jahr 2022 insgesamt 2,67 Millionen Fahrzeuge (siehe Abbildung). Von diesen Autos fuhren 945.000 rein elektrisch – ein Wachstum von fast 90 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings: Darunter sind auch Fahrzeuge westlicher Hersteller, die in China gebaut werden. Beispiel: Von den 945.000 Autos kamen Schätzungen zufolge fast 300.000 von dem US-Unternehmen Tesla. Im Westen tun sich die chinesischen Unternehmen noch schwer, das Gros der chinesischen Exporte geht nach Mexiko, Saudi-Arabien und Chile. Allerdings wollen Hersteller wie BYD oder Geely ihr Geschäft in Europa ausweiten. Sollte die EU eine breit angelegte chinesische Offensive ohne Schutz durch Regulierung zulassen, haben europäische Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile.

Gründe für den chinesischen Erfolg

China bietet für die Industrie generell vorteilhafte Produktionsbedingungen durch niedrige Arbeitskosten und günstige Energie. Allerdings sind beim E-Auto auch spezifische Faktoren von Bedeutung. Erstens hat der Sektor starke politische Unterstützung erhalten. Im Jahr 2014 erklärte die Kommunistische Partei Chinas E-Autos zur strategischen Industrie und integrierte sie in ihren „Industrieplan Made in China 2025“4. Schon zuvor hatte sie die Unternehmen mit umfangreichen Subventionen versorgt. Schätzungen des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies zufolge belief sich die Unterstützung in den Jahren 2007 bis 2019 auf 58 Milliarden US-Dollar.

Zweitens dominiert China die Lieferketten vieler Rohstoffe. Für den Bau von Elektrofahrzeugen sind besonders Lithium, Kobalt, Nickel, Grafit und Phosphat von Bedeutung, für den Bau von Elektromotoren werden außerdem seltene Erden gebraucht. Traditionelle Auto-Metalle wie Stahl, Kupfer und Aluminium werden zudem in E-Fahrzeugen in noch größeren Mengen benötigt. Abgebaut werden diese Metalle in verschiedenen Ländern. China dominiert aber in vielen Fällen die Raffination und Veredlung: Nach Schätzungen der IEA liegt der chinesische Anteil an der Weiterverarbeitung von Nickel bei 35 Prozent, bei etwa 58 Prozent für Lithium und 65 Prozent für Kobalt. Bei seltenen Erden liegt der Anteil sogar bei rund 90 Prozent.

Drittens ist China Weltmarktführer im Bereich Batterie. Ähnlich wie der Autosektor hat auch die Batteriebranche in den vergangenen Jahren massive Subventionen erhalten. China ist Weltspitze bei Lithium-Ionen-Batterien: Im Jahr 2022 kamen fast drei Viertel solcher Energiespeicher von dort. Die Autoindustrie profitiert von der heimischen Batteriefertigung, da die Versorgung mit dieser Schlüsselkomponente gesichert ist und heimische Innovationen die Autos leistungsfähiger machen.

Umweltauflagen und Einhaltung von Menschenrechten fragwürdig

Allerdings basieren viele der genannten Vorteile auf laxen Umweltauflagen und darauf, dass Menschenrechte bestenfalls eine untergeordnete Rolle bei der Produktion spielen. Dies trifft etwa in vielen Fällen auf den günstigen Abbau und die Weiterverarbeitung von Rohstoffen zu.5 Bei der Energie sorgt zudem ein ungünstiger Strommix mit einem hohen Anteil von billiger Kohle für einen hohen CO2-Fußabdruck der Produktion.6

Dies könnte die EU auf den Plan rufen: Sie muss sich möglichst bald entscheiden, ob ihre geplanten Regeln zu Lieferkettensorgfaltspflichten und Menschenrechten auch für importierte chinesische Autos in Europa gelten sollen. Die USA haben bereits klare Bedingungen an den Marktzugang und Subventionen für chinesische Hersteller gestellt, nach dem Motto: unser Markt, unsere Regeln. Wenn die US-Regierung zum Beispiel menschenrechtliche Bedenken gegenüber ausländischen Unternehmen hat (foreign entity of concern), kann sie den Marktzugang einschränken.

Eine solche Regulierung würde nicht nur die EU-Agenda des Klimaschutzes verstärken, sondern auch die erheblichen Kostenvorteile gegenüber der europäischen Konkurrenz reduzieren. Der Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die staatliche Förderung für Elektroautos künftig vom CO2-Ausstoß bei der Produktion von Fahrzeugen und Batterien abhängig zu machen, weist in diese Richtung.7 Auch ein Vorziehen des aktuell für 2026 geplanten europäischen Batteriepasses könnte mehr Transparenz über den CO2-Fußabdruck von Energiespeichern schaffen und würde potenziell die chinesischen Hersteller bei ihrer Expansion in Europa ausbremsen.

Europa mit Chancen

Auch abseits einer möglichen Regulierung gibt es Argumente, die für die europäischen Hersteller sprechen. Beispiel Halbleiter: Bei Chips für E-Autos gehört Europa zu den Weltmarktführern. Diese so genannten analogen Halbleiter, die aus Silizium oder Siliziumcarbid bestehen (SiC), werden für die Steuerung und Konvertierung von Strom benutzt. Zwar hat China SiC-Chips in den aktuellen Fünfjahresplan aufgenommen und fördert die heimischen Hersteller. Momentan ist das Land aber in diesem Bereich auf Importe angewiesen.

Noch etwas weiter entfernt sind Feststoffbatterien, die gegen Ende des Jahrzehnts serienreif werden dürften. Generell bieten technologische Veränderungen Nachzüglern die Möglichkeit, wieder aufzuholen – und sich womöglich selbst an die Spitze zu setzen. Europa hat durchaus Chancen bei der Entwicklung der Feststoffbatterie.Deutsche Autobauer sind bereits in dem Feld aktiv: Beispielsweise betreibt VW ein Feststoffzellen-Programm und hat bislang rund 400 Millionen Euro in das US-Start-up Quantumscape investiert. Ihre enormen Ressourcen sind eine Chance für die deutschen Hersteller. Bis 2027 plant die deutsche Autoindustrie über 250 Milliarden Euro zu investieren, mit Fokus zum Beispiel auf Elektromobilität inklusive Batterietechnik.9

Mit der technologischen Entwicklung werden die Preise für Energiespeicher sinken. Damit würde sich die Wertschöpfung ein Stück weg von der Batterie verlagern. Das Auto selbst gewinnt wieder an Bedeutung: Ein Vorteil für deutsche Autobauer, die sehr gut darin sind, ihre Zulieferer effizient zu managen und die Komponenten in einem qualitativ hochwertigen Gesamtprodukt zu integrieren. Auch Marketing und Markenimage rücken stärker in den Fokus. In der Premiumklasse spricht dies für deutsche Autobauer wie Mercedes-Benz und BMW, deren Marken große Strahlkraft besitzen. Auch bei der Qualität liegen sie noch immer ein Stück vor den chinesischen Herstellern – letztlich beziehen sich die Vorteile der Chinesen vor allem auf den Preis. Die europäischen Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren zwar Probleme, den Geschmack der chinesischen Konsumenten zu treffen – gerade im Vergleich zur Konkurrenz. Mittlerweile scheint es den Premiumherstellern aber wieder besser zu gelingen, zuletzt konnten sie Marktanteile zurückgewinnen.10 Europäische Autobauer sind zudem dazu übergegangen, Kooperationen mit chinesischen Unternehmen einzugehen, stärker vor Ort Marktforschung zu betreiben und Designzentren in China aufzubauen.

Fazit und Ausblick

Auf dem globalen Automarkt hat sich ein neuer Konkurrent etabliert. Gerade im heimischen Massenmarkt sind die chinesischen Autobauer nicht mehr wegzudenken. Dies setzt in China vor allem VW unter Druck. Besser sind die Aussichten für die deutschen Premiumhersteller. Absehbar werden chinesische Unternehmen auch in Europa eine stärkere Rolle spielen. Es dürfte ihnen jedoch schwerfallen, den Europäern den Heimatmarkt ernsthaft streitig zu machen: BYD konnte im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland gerade einmal 224 Elektroautos verkaufen – bei der Volkswagen-Gruppe waren es im selben Zeitraum rund 62.00011. Zumal sich die EU – so wie die USA – dazu entschließen könnte, den Marktzugang stärker zu regulieren.

Schon jetzt versucht die EU mit ihrer Industriepolitik, substanzielle Bestandteile der Lieferketten im eigenen Wirtschaftsraum aufzubauen, um so grüne Technologien wie Batterien oder Elektroautos zu stärken.12 Zeigen muss sich, welchen Erfolg die europäischen Anbieter mit ihren neuen Elektromodellen haben werden – in China, in Europa und der gesamten Welt. Positiv für die europäischen Hersteller: Elektromobilität verbreitet sich in reicheren Ländern schneller als in ärmeren. Dies bietet den Europäern die Chance, gegenüber der chinesischen Konkurrenz aufzuholen, bevor das Rennen um die Kunden und die Marktanteile in diesen Ländern richtig beginnt.

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 10. Juli 2023, soweit nicht anders angegeben.

  1. 1 Shanghai auto show crowds flock to BYD's Seagull | Reuters
  2. 2 Demand for electric cars is booming, with sales expected to leap 35% this year after a record-breaking 2022 - News - IEA
  3. 3 Dazu zählen vollelektrische Fahrzeuge (battery electric vehicles, BEVs) und Fahrzeuge mit Plug-In-Hybrid-Antrieb (plug-in hybrid electric vehicles, PHEVs).
  4. 4 Mehr zu „Made in China 2025“ finden Sie in unserem durchGEDACHT von November 2020: „Vom Tradewar zum Techwar“
  5. 5 Mehr zum Thema Nachhaltigkeit und Nutzung von Rohstoffen finden Sie hier: "Von der Mine zum Windrad".
  6. 6 Mehr zum Thema Nachhaltigkeit bei der Batterieproduktion finden Sie in unserem durchGE-DACHT von März 2021: "Nicht ganz sauber!"
  7. 7 Macron will Förderung an CO2-Ausstoß bei Fertigung koppeln - electrive.net
  8. 8 Vgl. Solid-State Battery Roadmap 2035+ (fraunhofer.de)
  9. 9 VDA
  10. 10 Laut aggregierten Zahlen der China Association of Automobile Manufacturers.
  11. 11 Gemäß Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA).
  12. 12 Mehr dazu im anGEDACHT von April 2023: „Grüne Industriepolitik: Wer bietet mehr?“

Sie haben Fragen? Ihr Kontakt zu uns

Union Investment Institutional

Union Investment Institutional

Sie erreichen uns Montag bis Freitag von 08:00 bis 18:00 Uhr

Telefon: 069 2567-7652

E-Mail: institutional@union-investment.de

Das könnte Sie auch interessieren

Themen und Analysen

Themen und Analysen

Alle Analysen, strategischen Themenpapiere und Studien finden Sie an einem Ort gebündelt unter „Themen und Analysen“.

Grüne Industriepolitik: Wer bietet mehr?

Grüne Industriepolitik: Wer bietet mehr?

Hat die Europäische Union eine Zukunft als Produktionsstandort für Batterien oder Computerchips? Der „Green Deal Industrial Plan“ soll den „Inflation Reduction Act“ der USA kontern. Die Richtung stimmt, aber es bleiben Fragezeichen – und wichtige Standortnachteile der EU werden nicht adressiert.

Jeder Tropfen zählt

Jeder Tropfen zählt

Wasser ist knapp. Bevölkerungswachstum und Klimawandel bringen Wassernachfrage und -angebot aus dem Gleichgewicht – mit weitreichenden Folgen. Investitionen in die Infrastruktur helfen, Effizienz und Qualität der Wasserwirtschaft zu verbessern. Dieser Investitionsschub bietet Chancen für vielfältige Geschäftsmodelle – und Anleger.