Droht den USA der Zahlungsausfall?

12.05.2023 | Der Ausgang der Zwischenwahlen im November ließ es bereits erwarten, doch nun ist es Gewissheit: Die Erhöhung der Schuldenobergrenze in den USA wird in diesem Jahr eine ähnlich heikle Angelegenheit wie zuletzt 2011. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Und welche Auswirkungen für die Kapitalmärkte sind zu erwarten?

Das Wichtigste für Sie in Kürze

  • Risiken für nicht rechtzeitige Anhebung bzw. Aussetzung der Schuldenobergrenze sind so hoch wie noch nie
  • Zahlungsunfähigkeit der USA schließen wir zwar aus, eine Lösung erwarten wir aber erst auf den absolut letzten Drücker
  • Marktturbulenzen dürften notwendigen Handlungsdruck erzeugen

Die Lektion aus 2011

Der Ausgang der Zwischenwahlen im November ließ es bereits erwarten, doch nun ist es Gewissheit: Die Erhöhung der Schuldenobergrenze in den USA wird in diesem Jahr eine ähnlich heikle Angelegenheit wie zuletzt 2011. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus nutzte damals den Vorgang, um die Demokraten zu umfangreichen Zugeständnissen zu zwingen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die in unregelmäßigen Abständen fällige Erhöhung der Schuldenobergrenze mehr oder weniger ein Routinevorgang, bei dem eine Nicht-Erhöhung und damit die Zahlungsunfähigkeit der USA nie ernsthaft zur Debatte gestanden hatte. 2011 konnte ein Zahlungsausfall erst in letzter Sekunde abgewendet werden. Dem war jedoch ein erheblicher Stress an den Kapitalmärkten vorausgegangen. Zwar einigten sich beide Parteien letztendlich auf einen Kompromiss. Dieser führte im Nachhinein jedoch zu umfangreichen Ausgabenkürzungen. Beide Parteien haben daraus unterschiedliche Lektionen gelernt: In den Augen der Demokraten war es eine Erpressung der Republikaner, auf die man sich kein zweites Mal einlassen wird. Die Kreditwürdigkeit der USA ist in ihren Augen nicht verhandelbar. Die Republikaner hingegen haben gelernt, dass sie umfangreiche Zugeständnisse erzwingen können.

Fast forward ins Jahr 2023

Die politische Konstellation ist vergleichbar mit jener des Jahres 2011. Ein demokratischer Präsident, ein demokratischer Senat und ein republikanisches Repräsentantenhaus – letzteres allerdings mit einer hauchdünnen Mehrheit. Wir gehen fest davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit der USA am Ende verhindert wird. Allerdings rechnen wir auch damit, dass es erst in allerletzter Sekunde zu einer Lösung kommen wird. Damit ist auch klar, dass die Unsicherheit an den Kapitalmärkten steigen wird, je näher der Tag X kommt: Also jener Tag, an dem das US-Treasury nicht mehr in der Lage ist, all seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass kurzzeitige Kapitalmarktturbulenzen notwendig sein werden, um den notwendigen Handlungsdruck bei den relevanten politischen Akteuren zu erzeugen. Der Tag X könnte bereits Anfang Juni erreicht werden (siehe Grafik zum Fahrplan). Er könnte sich allerdings auch auf Ende Juli oder Anfang August verschieben, sofern zusätzliche Mittel gegen Mitte und Ende Juni nochmals Luft verschaffen.

Fahrplan für den Streit über die Schuldenobergrenze

Fahrplan für den Streit über die Schuldenobergrenze
Quelle: Union Investment; Stand: 12. Mai 2023.

Einigung zwischen Biden und McCarthy schwierig

Wie die Lösung am Ende aussehen wird, ist indes vollkommen unklar. Eine Einigung zwischen dem Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy und Präsident Joe Biden dürfte extrem schwierig werden. Zu weit liegen die Forderungen der beiden Seiten auseinander. Denn während Biden weiterhin auf eine bedingungslose Erhöhung der Schuldenobergrenze pocht („no strings attached“), sieht McCarthys Vorschlag umfangreiche, größtenteils unspezifizierte Ausgabenkürzungen vor, die unter anderem eine teilweise Rückabwicklung von Bidens Investitionsplänen vorsehen. Erschwerend kommt hinzu, dass McCarthy dem extremen Lager in seiner Partei für seine Wahl zum Sprecher des Hauses bereits im Januar zugesichert hat, dass es keine bedingungslose Erhöhung geben wird. Sollte er sich nicht an diese Absprache halten, steht es jedem einzelnen Mitglied seiner Fraktion frei, einen Misstrauensantrag gegen ihn zu stellen. Jeglicher Kompromiss, der nicht den Maximalforderungen der Republikaner entspricht, birgt für McCarthy das Risiko, seinen Job zu verlieren. Bedenkt man, dass er fünfzehn demütigende Wahlrunden über sich ergehen ließ, um sich den Job zu sichern, ist es fraglich, ob er im Zweifelsfall das Wohl des Landes, sprich die Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit, über die Sicherung seines Amts stellen wird. Auch sollte McCarthy aus diesem Grund an einer vorübergehenden Aufhebung der Schuldenobergrenze nicht gelegen sein, da dies zwei Abstimmungen erfordert und somit auch zwei Mal sein politisches Schicksal auf dem Spiel steht.

Mögliche Lösungen

Wir halten daher Lösungen ohne eine aktive Beteiligung des Sprechers des Repräsentantenhauses für deutlich wahrscheinlicher.

  1. Vorstellbar ist eine Einigung zwischen moderaten Demokraten und moderaten Republikanern und der Nutzung der sogenannten „discharge petition“. Damit kann eine Abstimmung gegen den Willen von McCarthy erzwungen werden. Die Demokraten haben dafür bereits frühzeitig Vorkehrungen getroffen. Ob diese Option am Ende rechtzeitig zur Verfügung steht, hängt vor allem davon ab, wie schnell mindestens fünf moderate Republikaner bereit sind, sich allen Demokraten im Repräsentantenhaus anzuschließen.
  2. Aber auch ein Alleingang von Biden ist möglich, indem er sich auf den 14. Verfassungszusatz beruft und die Schuldenobergrenze für verfassungswidrig erklärt. Diese Option scheint aktuell, falls ein Alleingang notwendig wird, die präferierte Vorgehensweise zu sein. Die Unsicherheit über die Legalität dieser Vorgehensweise könnte einige Zeit andauern. Zwar ist grundsätzlich mit Klagen zu rechnen. Damit diese zugelassen werden, muss sich zunächst jedoch jemand finden, der überhaupt über die notwendige Klagebefugnis verfügt. Schließlich ist es schwer, jemanden zu finden, dem ein Schaden entstanden ist, weil der Staat sich dazu entschieden hat, seine Schulden zu bedienen. Biden könnte auch eine Platin-Münze mit hohem Nennwert prägen lassen und diese als Sicherheit für eine zukünftige Schuldenaufnahme bei der US-Notenbank hinterlegen. Diese Option scheint rechtlich möglich zu sein. Allerdings müsste die Münze auch von der Fed als Sicherheit akzeptiert werden. Im Zweifelsfall dürfte das jedoch wahrscheinlich sein.

Alle Optionen sind jedoch mit erheblichen Risiken für die handelnden Akteure verbunden. Schließen sich wenige moderate Republikaner den Demokraten an, um eine Abstimmung zu erzwingen, dürfte ihnen beim nächsten Vorwahlkampf ein Herausforderer vom extremen Flügel der Partei garantiert sein. Wagt hingegen Biden den Alleingang, setzt er sich einem erheblichen politischen Risiko aus. Eine dieser beiden Optionen würde daher erst mit großer Wahrscheinlichkeit in letzter Sekunde zum Einsatz kommen: Erst dann, wenn man guten Gewissens sagen kann, dass man alles daran gesetzt hat, eine gemeinsame Lösung zu finden, letztendlich aber doch gezwungen war, zum Wohle des Landes zu handeln. Der Druck der Kapitalmärkte könnte daher der notwendige Trigger sein, der am Ende zu einer Lösung führt.

What if? …über den Tag X hinaus

„Ein Zahlungsausfall ist offen gesagt undenkbar“, sagte Janet Yellen am 11. Mai. Auch wenn wir die Zahlungsfähigkeit der USA zwar nahezu ausschließen, möchten wir kurz auf den Tag X und darüber hinaus blicken. Wird der Tag X erreicht und dem Treasury stehen weder Mittel zur Verfügung noch die Erlaubnis Schulden aufzunehmen, stellt sich die Frage der „Priorisierung“. Aus unserer Sicht ist nicht klar, ob das Finanzministerium Zinszahlungen über andere Auszahlungen wie für das Sozialsystem, Medicare etc. priorisieren wird. Warum sollte die Wall Street (Anleiheinvestoren) besser gestellt werden als die Main Street? Eine Priorisierung wäre politisch schwierig und würde sicherlich vor Gericht landen. Eine entsprechende Klage wurde bereits eingereicht. Der technische Ausfall ist damit bereits am Tag X möglich. An den Kapitalmärkten würden dann vermutlich chaotische Zustände herrschen, was den Handlungsdruck nochmals massiv erhöht. Neben Downgrades durch die Ratingagenturen ist denkbar, dass die Fed zügig einen Weg aufzeigt, um ausgefallene Schulden gegen gute Schulden zu tauschen. Die „Kontrolle“ von Counterparty- und Collateral Risiken würde im Fokus stehen, um die Vitalität der Zahlungs- und Abrechnungssysteme zu sichern. Durch den technischen Default wäre aber auch der Sündenfall eingetreten und US-Schulden würden ab sofort mit einer nachhaltigen Risikoprämie belegt werden.

Investmentstrategie

Eine Verschärfung der Situation an den Kapitalmärkten ist nicht nur wahrscheinlich, sondern fast schon eine Bedingung für die erwartete Einigung. Wir empfehlen deshalb eine defensive Positionierung „im Vorfeld“. Spätestens kurz vor Ablauf der absehbaren Fristen – also wenn Konflikt und Marktstress vermutlich auf ihren Höhepunkt zusteuern – empfehlen wir, sich wieder neutraler auszurichten. Wichtig ist dabei eine (antizyklische) Orientierung an dem Marktstress und nicht (oder weniger) an der Veröffentlichung von Entscheidungen.

 

Ein Beitrag von Sandra Ebner, Michael Herzum und Gregor Eder.

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 12. Mai 2023, soweit nicht anders angegeben.

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