Aktives Management ist gefragt

20.06.2023 | In einem von Unsicherheit geprägten Marktumfeld sollten Investoren gezielt Chancen suchen, rät Dr. Frank Engels, Mitglied des Vorstands bei Union Investment. Bei den Schlüsselfaktoren Inflation, Geldpolitik, Konjunktur und Finanzmarktstabilität rechnet er mit Verbesserungen im Jahresverlauf.

 

Dr. Frank Engels, 

im Vorstand von Union Investment für das Portfoliomanagement für Wertpapiere verantwortlich

Das Wichtigste für Sie in Kürze

  • Leitzinsgipfel nicht mehr weit entfernt
  • Zeit der starken Zinsanstiege vorbei, Renditeniveaus bleiben konstant
  • Unternehmensanleihen im aktuellen Umfeld besonders attraktiv
  • Chancen steigen, je länger das Jahr andauert

Im Vergleich zum Jahresstart sind Fortschritte bei der Inflation erkennbar. Der Preisdruck hat nachgelassen, wenn auch nicht überall in gleichem Ausmaß, und die Inflation ist auf einen nachhaltigen, aber flachen Abwärtspfad eingeschwenkt. Einen Schritt voraus sind die USA bei der Inflationsbekämpfung. Hier ist der Höhepunkt nicht nur bei der Gesamtrate, sondern auch bei der weniger schwankungsanfälligen Kernrate ohne Nahrung und Energie klar überschritten. Daher sind in den Vereinigten Staaten in der zweiten Jahreshälfte wieder Kernraten unter vier Prozent zu erwarten.

  • Die USA sind bei der Inflationsbekämpfung einen Schritt voraus

    Lange Abwärtsbewegung setzt sich fort

    Die USA sind bei der Inflationsbekämpfung einen Schritt voraus
    Quelle: Bloomberg, Union Investement; Stand: 02. Juni 2023.
  • Die USA sind bei der Inflationsbekämpfung einen Schritt voraus

    Euroraum: Dienstleistungspreise im Aufwärtstrend

    Die USA sind bei der Inflationsbekämpfung einen Schritt voraus
    Quelle: Bloomberg, Union Investement; Stand: 02. Juni 2023.

Anders ist die Lage im Euroraum einzuschätzen. Die Güterpreise steigen zwar kaum noch, aber im Dienstleistungssektor ist der Preisdruck nach wie vor hoch. Das wird sich erst ab dem Spätsommer schrittweise ändern. In der Jahresrate ist für 2023 in der EU eine Teuerung von 5,5 Prozent zu erwarten, die sich im Folgejahr auf 2,8 Prozent verringern dürfte.

Ende der Leitzinsanhebungen ist nicht mehr weit

Beim Schlüsselfaktor Inflation ist also noch keine Zeit für Entwarnung, aber die Zeichen stehen auf Entspannung. Damit ist auch der Handlungsdruck auf die Notenbanken gesunken. Besonders für die Federal Reserve (Fed) in den USA besteht kein Grund mehr für anhaltende Leitzinsanhebungen. Der Job der Fed ist weitgehend erledigt. Es ist noch ein letzter Zinsschritt um 25 Basispunkte zu erwarten. Danach wird die Fed bis zum Jahresende pausieren und ihre Straffungen wirken lassen.

  • Notenbanken stehen unmittelbar vor dem Ende der Leitzinsanhebung

    Letzte Zinserhebungen in greifbarer Nähe

    Notenbanken stehen unmittelbar vor dem Ende der Leitzinsanhebung
    Quelle: Bloomberg, Union Investement; Stand: 02. Juni 2023.
  • Notenbanken stehen unmittelbar vor dem Ende der Leitzinsanhebung

    Fed: Markt hat zuletzt unser Zinsbild eingepreist

    Notenbanken stehen unmittelbar vor dem Ende der Leitzinsanhebung
    Quelle: Bloomberg, Union Investement; Stand: 02. Juni 2023.

So weit ist es im Euroraum noch nicht. Zwar hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen bereits deutlich angehoben. Allerdings ist hier der Inflationsdruck nach wie vor hoch. Die EZB wird voraussichtlich mit zwei weiteren Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte nachlegen. Danach dürfte auch in der Währungsunion eine Pause eintreten. Das Ende der Leitzinsanhebungen ist auf beiden Seiten des Atlantiks nicht mehr weit.

Je klarer wird, dass der Höhepunkt bei den Leitzinsen überschritten ist, umso besser sind die Aussichten für Risikoanlagen.

Dr.-Frank-Engels

Dr. Frank Engels, 

im Vorstand von Union Investment für das Portfoliomanagement für Wertpapiere verantwortlich


Finanzmarktstabilität durch Bankenkrise nicht gefährdet

Im ersten Halbjahr 2023 hat auch der Kollaps mehrerer Banken die Märkte belastet. Der starke Zinsanstieg in Verbindung mit der konjunkturellen Abkühlung traf Finanzinstitute mit fragilem Geschäftsmodell hart, insbesondere in den USA. Auch wenn die Folgen zuletzt nicht mehr akut auf den Kapitalmarkt wirkten, so bleibt das Thema doch auf der Agenda: Punktuell kann der relativ starke und rasche Zinsanstieg der letzten 20 Monate zu Problemen in einzelnen Segmenten des Finanzsystems führen.

Eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität resultiert daraus jedoch nicht. Das Bankensystem ist insgesamt robust. Zudem haben Regierungen, Notenbanken und Regulierungsbehörden ihre Fähigkeit demonstriert, mit solchen Krisen erfolgreich umzugehen. Auch im Wiederholungsfall ist damit zu rechnen, dass das schnelle und entschlossene Handeln der Entscheidungsträger die Ausbreitung einer Bankenkrise verhindern wird: Die Finanzmarktstabilität ist somit derzeit nicht gefährdet.

Allerdings wäre ein Wiederaufflammen der Krise ein Belastungsfaktor für die Kapitalmärkte. Gleichzeitig ist der konjunkturelle Effekt aus der Bankenkrise in den USA derzeit noch offen. Denn: Angeschlagene Banken vergeben weniger Kredite und bremsen somit das Wachstum. Zwar sind in den USA sowohl Kreditangebot als auch -nachfrage als Folge der strikteren Geldpolitik und der schwächeren Konjunktur bereits seit geraumer Zeit rückläufig. Eine zusätzliche, deutliche Verschärfung der Kreditvergabestandards könnte aber die Konjunktur weiter in Richtung Rezession treiben. Wie stark dieser Bremseffekt ausfallen wird, ist derzeit völlig offen. Damit bleibt das Thema vorerst ein Unsicherheitsfaktor für die Märkte.

Wirtschaftliche Stagnation in den USA und Europa

Dies gilt umso mehr, als die weltweite Konjunktur zunächst schwach bleibt. In den USA und im Euroraum stagniert das Wachstum weitgehend für den Rest des Jahres. Vor allem die raschen Zinsanhebungen belasten. Dreh- und Angelpunkt bleibt in beiden Wirtschaftsräumen der Arbeitsmarkt. Wir gehen zwar davon aus, dass der zeitweise heiß gelaufene Arbeitsmarkt wieder stärker in die Balance kommt und sich die Ungleichgewichte zwischen demografiebedingt weniger Angebot und robuster Nachfrage abbauen. Ein Einbrechen erwarten wir aber nicht.

Damit ist auch ein Abgleiten der amerikanischen Volkswirtschaft in eine tiefe Rezession unwahrscheinlich. Zudem sind Anzeichen für eine Verbesserung der Lage gegen Jahresende sichtbar. In Richtung 2024 dürfte die wirtschaftliche Dynamik zulegen, nicht zuletzt wegen anziehender Investitionen. Je mehr Zeit verstreicht, desto stärker werden die strukturellen Umbauten der westlichen Volkswirtschaften mit Blick auf Dekarbonisierung und den partiellen Rückbau globaler Lieferketten schlagend.

Dieses Bild gilt grundsätzlich auch für den Euroraum, allerdings mit Zeitverzug. Hier dürfte die Wirtschaftsaktivität erst gegen Ende 2024 wieder in Richtung Trendwachstum aufschließen. Die Sorgen um Energieengpässe und Lieferkettenprobleme sind zwar verflogen, gleichzeitig kommen aber die Auftragseingänge nur langsam in Fahrt. Zudem haben die Verbraucher deutliche Reallohnverluste zu verkraften – und der volle geldpolitische Bremseffekt steht erst noch bevor.

Daher ist für dieses Jahr ein Wachstum des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,4 Prozent realistisch, bevor der Wert im nächsten Jahr auf 0,8 Prozent ansteigen dürfte. Besonders betroffen von der Abkühlung ist die deutsche Volkswirtschaft, wo wir in der Jahresrate für 2023 ein Schrumpfen um 0,4 Prozent prognostizieren. Deutschland ist gut durch das Winterhalbjahr gekommen. Gleichzeitig waren die Reallohneinbußen aber hoch und der Außenhandel ist schwach, nicht zuletzt wegen der Ermüdungserscheinung im chinesischen Post-Covid-Aufschwung. Diese Effekte sollten im Jahresverlauf an Kraft verlieren, sodass 2024 die allgemeine wirtschaftliche Wachstumsdynamik zunehmen dürfte.

Chancen steigen, je länger das Jahr dauert 

In Summe sind bei allen vier Schlüsselfaktoren – Inflation, Geldpolitik, Finanzmarktstabilität und Konjunktur – Verbesserungen beziehungsweise mehr Klarheit im Jahresverlauf zu erwarten. Auf dem Weg dahin bleibt das Marktumfeld aber fragil. Das zweite Halbjahr bleibt anfällig für starke Schwankungen an den Kapitalmärkten.

Mit Blick auf die einzelnen Anlageklassen rechnen wir nicht mit einer Fortsetzung der starken Renditeanstiege bei sicheren Staatsanleihen. Das Thema Renditeanstieg dürfte mit Erreichen des Leitzins- und Inflationsgipfels weitgehend erledigt sein. Zum Jahresende erwarten wir, dass die zehnjährigen US-Staatsanleihen bei 3,75 Prozent und deutsche Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit mit 2,7 Prozent rentieren. Aufgrund der nach wie vor inversen Zinsstrukturkurve sind Engagements mit kürzerer Laufzeit angezeigt. Besonders interessant bleiben Unternehmensanleihen, weil die Fundamentaldaten nach wie vor gut und die Renditeniveaus attraktiv sind. In der aktuellen Marktlage weisen diese Anlagen das beste Chance-Risiko-Profil auf. Interessant sind vor allem europäische Emittenten mit gutem Rating (Investment Grade).

Investment-Grade-Corporates mit attraktivstem Chance-Risiko-Profil

Rentenmärkte haben deutlich an Attraktivität gewonnen

Investment-Grade-Corporates mit attraktivstem Chance-Risiko-Profil
Quelle: Refinitiv, Union Investment; Stand: 02. Juni 2023. *Hartwährung

Herausforderungen für Aktien, bevor sich das Bild aufhellt

Aktien bleiben für langfristig orientierte Investoren alternativlos. In den kommenden sechs Monaten ist aber auch mit Herausforderungen für diese Anlageklasse zu rechnen. Die Aktienmärkte haben sich seit Herbst 2022 bereits spürbar erholt. Für weitere, nachhaltige Anstiege braucht es mehr Erwartungssicherheit bei den Schlüsselthemen, vor allem bei der Konjunktur. Insbesondere die Margen- und Gewinnentwicklung dürfte dabei eine entscheidende Rolle einnehmen. Bis heute haben die Unternehmen ihre Profitabilität beeindruckend verteidigen können.

Bei weiterhin robustem Lohndruck und der abnehmenden Inflation wird das allerdings schwieriger. Investoren dürften vermehrt ein Fragezeichen hinter den Aktienmarkt machen und ein Gewinnrückgang auf globaler Ebene von fünf Prozent im Jahr 2023 ist zu erwarten. Aber mit der Stabilisierung der Konjunktur in Richtung Jahreswechsel ist eine Gegenbewegung denkbar: Im Jahr 2024 sind zweistellige Gewinnzuwächse möglich. Das sollte den Aktienmärkten Auftrieb verleihen.

Zeit arbeitet für Risikoanlagen

Ein nervöses zweites Halbjahr 2023 gefolgt von einem aussichtsreicheren 2024 – darauf können sich die Investoren einstellen. Die Kapitalmärkte werden mehr Klarheit bei den Schlüsselfaktoren erhalten, und damit hellen sich die Perspektiven auf. Geduld dürfte sich auszahlen. Insbesondere ein freundlicherer Wachstums-Inflations-Mix dürfte dazu führen, dass die Attraktivität risikobehafteter Anlagen zunimmt.

Bis dahin bestehen weiter Chancen an den Börsen durch Aktivität und Selektion. Unter der Oberfläche tut sich viel an den Märkten, wir erleben große strukturelle Bewegungen. Diese Verschiebungen – Stichwort Künstliche Intelligenz, aber auch Grüne Transformation – kann ein aktiver Manager durch geschickte Titelauswahl für sich nutzen.

 

Ein Beitrag von Dr. Frank Engels.

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 20. Juni 2023, soweit nicht anders angegeben.

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