Engagement im Fokus

Hauptversammlungssaison: Den nachhaltigen Wandel aktiv fordern und fördern

Der Gang über einen Teppich aus toten Bienen bleibt den Aktionären auf der diesjährigen Hauptversammlung von Bayer erspart. Denn auch 2021 finden die Hauptversammlungen coronabedingt rein virtuell statt. Aufsehenerregende Protestaktionen wie der Bienenteppich gegen umstrittene Konzernprodukte sind also nicht möglich.

Dennoch ist die nun anstehende Hauptversammlungssaison ein zentraler Baustein des aktiven und nachhaltigen Asset-Managements. Denn sie bietet die Gelegenheit, den Diskurs mit den Unternehmen zu intensivieren. Besonders der nachhaltige Wandel der Wirtschaft steht dabei im Fokus. Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment, und Janne Werning, Leiter Capital ESG Capital Markets & Stewardship, sprechen mit uns über ihre Erwartungen an die nächsten Wochen.

Henrik, was ist das Besondere an der Hauptversammlungssaison?

Dr. Henrik Pontzen: Die HV-Saison kann man mit einer Fußball-Weltmeisterschaft vergleichen. Sie ist der Höhepunkt unserer Engagement-Aktivitäten. Wir führen jährlich mehr als 4.000 Gespräche mit Unternehmen, in die wir investieren. Aber die Hauptversammlungen sind eine ganz besondere Herausforderung. Entsprechend intensiv ist die Vorbereitung.

Als Leiter ESG hast du bei den Vorbereitungen eine besondere Verantwortung. Wie genau geht ihr vor?

Dr. Henrik Pontzen

Dr. Henrik Pontzen: Auch hier gibt es Parallelen zum Fußball: Nur gemeinsam sind wir stark. Mit einem Team aus Nachhaltigkeits-Analysten, Portfoliomanagern und Medienfachleuten stellen wir uns im Vorfeld drei zentrale Fragen: Welche Unternehmen haben hinsichtlich unseres Kernthemas, der nachhaltigen Transformation, besonders viel Nachholbedarf? In welche Unternehmen haben wir besonders viel investiert und dadurch einerseits besonders viel Verantwortung, als Aktionär aber auch besonders viel Mitspracherecht? Bei welchen Unternehmen können wir besonders viel bewegen? Beim letztgenannten Punkt ist häufig die mediale Resonanz entscheidend. Denn in der Gesellschaft wächst das Verständnis dafür, dass aktive Asset-Manager einen besonders großen Hebel haben, um die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten.

Wie geht ihr damit um, dass die Hauptversammlungen zurzeit ausschließlich digital stattfinden?

Janne Werning: Wir sehen zwei Aspekte: Auf der einen Seite war diese Maßnahme im Zuge der Corona-Pandemie notwendig. Das respektieren wir. Andererseits nutzen manche Unternehmen diesen Umstand aus, um die Aktionärsdemokratie auszuhebeln. Das äußert sich beispielsweise darin, dass wir unsere Redebeiträge nun vorab als virtuelles Statement einreichen, ebenso die Fragen an die Unternehmensführung. Häufig spielen die Beiträge und Fragen der Anteilseigner aber dann gar keine Rolle im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung. Diese Beschneidung der Aktionärsrechte schwächt die korrigierende Rolle von uns als Anteilseigner. Deshalb weisen wir, ebenso wie andere Aktionärsvertreter, vehement auf die Beschneidung der Aktionärsrechte hin.

Wie sind die Reaktionen?

Janne Werning: Es gibt erste Erfolge. Bayer hat beispielsweise angekündigt, Rückfragen zuzulassen. Auch die Deutsche Bank will auf ihrer HV Nachfragen ermöglichen. Das kommt dem von uns geforderten Dialog mit den Anteilseignern schon etwas näher und ist als Schritt in die richtige Richtung zu werten. Für die Zukunft nach Corona wäre ein hybrides Modell denkbar: die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme, aber verknüpft mit der Präsenz vor Ort, um Aktionärsrechte wieder voll ausüben zu können.

Bei welchen Themen setzt ihr die inhaltlichen Schwerpunkte in der diesjährigen Saison?

Dr. Henrik Pontzen: Im Mittelpunkt unseres Engagements steht die Einforderung der systematischen nachhaltigen Transformation der Unternehmen. Volkswagen etwa ist ein herausragendes Beispiel für eine vielversprechende Transformation. Der Autobauer hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 eine neutrale CO2-Bilanz zu erreichen. Unter anderem will der Konzern dies durch die CO2-arme Herstellung seiner Batterien für den ID.3 erreichen: So lässt VW seinen Lieferanten LG Chem in dessen polnischem Werk ausschließlich zertifizierten grünen Strom nutzen. Dadurch sinken die CO2-Emissionen in der Batteriefertigung auf nahezu null, für den gesamten Produktionsprozess um bis zu 80 Prozent.

Warum ist die nachhaltige Transformation so wichtig?

Dr. Henrik Pontzen: Der Gegenwind für Konzerne ohne ambitionierte Nachhaltigkeitsziele nimmt zu. Die Konsummuster ändern sich, die Politik reagiert mit regulatorischen Auflagen wie der CO2-Bepreisung oder dem Lieferkettengesetz. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn Unternehmen Themen wie Klimaziele und -reporting, Diversität und Transparenz nicht berücksichtigen, verliert ihr Geschäftsmodell zunehmend an Zukunftsfähigkeit – und wird unattraktiver für Investoren.

Vielen Unternehmenslenkern scheint aber die ökonomische Tragweite nicht klar. Wenn sich ein Unternehmen nachhaltiger ausrichtet, sichert es sich bestehende Märkte – oder erschließt sich neue. Damit wird es zukunftssicherer. In unserer Rolle als aktiver Investor wollen wir diese Unternehmen konstruktiv-kritisch in der Transformation begleiten. Das Ziel ist die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Unternehmensstrategie.

Wie sieht diese konstruktiv-kritische Begleitung konkret aus?

Dr. Henrik Pontzen: Wir stellen Fragen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Produktportfolios, der Produktionsprozesse, der Transparenz von Nachhaltigkeitsstrategie und -ziele der Unternehmen, nach nachhaltigen Investitionen in Forschung, Produkte und andere Firmen. Ein weiterer entscheidender Punkt für uns ist, inwieweit sich die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens, in den Vergütungsstrukturen des Top-Managements wiederfindet. Ein Unternehmen nachhaltig auszurichten, heißt es zukunftsfähig aufzustellen. Insofern überzeugt uns eine Nachhaltigkeitsstrategie erst dann, wenn Nachhaltigkeitsziele messbar und überprüfbar sind und sich in der Vergütung des Topmanagements widerspiegeln.

Wie ist euer Eindruck: Kommt das bei den Unternehmen an?

Janne Werning

Janne Werning: Unser aktives Engagement für den nachhaltigen Wandel der Wirtschaft zeigt Wirkung. Zwei Beispiele aus diesem Jahr sind die Hauptversammlungen von ThyssenKrupp und Siemens Energy. Auf beiden Veranstaltungen wurde die nachhaltige Transformation über das Thema „Wasserstoff“ in den CEO-Reden thematisiert.

Auch in der vergangenen digitalen HV-Saison haben wir Erfolge verzeichnet: Der jüngste war der Rückzug von Conti aus der Westsahara in diesem Februar, eine unserer Forderungen auf der letztjährigen Hauptversammlung. Deshalb stuften wir Conti vom Kontroversen-Status B auf A hoch. Ein weiterer Erfolg, der unter anderem auf eine Forderung von uns auf der HV zurückgeht, können wir bei Covestro verbuchen: Der Werkstoffhersteller nimmt nun als eines der letzten DAX-Unternehmen am Carbon Disclosure Project (CDP) teil. Das CDP ist eine Non-Profit-Organisation, die Umweltdaten von Unternehmen und Kommunen veröffentlicht. Für Covestro ist das ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz und damit Glaubwürdigkeit, den nachhaltigen Wandel aktiv anzugehen.